Schattenwandler 05. Noah
sonst kannte, setzten sich gern in Szene. Mit Marines zu leben war eine ständige Zurschaustellung von Testosteron gewesen. Noah hielt sich zurück. Er wusste, dass er nichts beweisen musste. Und auch sie musste nichts beweisen.
Sie hatte gedacht, dass er sie nicht als starke Frau betrachten würde, bevor sie es ihm nicht bewiesen hätte, so wie es bis jetzt immer gewesen war. Doch jetzt stellte sie fest, dass Noah sein ganzes Leben von Frauen mit ungewöhnlichen Kräften umgeben war, die alle mit dem gleichen Respekt behandelt wurden. Wenn er versuchte, sie zu beschützen, dann, weil er wusste, dass sie außerhalb ihrer Liga spielte.
Kes seufzte, als er vom Kamin wegging und gemeinsam mit ihr die Treppe hinaufstieg. Sie hatte langsam keine Argumente mehr gegen ihn. Ihr fiel keine Ausrede mehr ein, weshalb diese Beziehung nicht funktionieren sollte.
Und vielleicht war das der erschreckendste Abgrund, an dem sie je gestanden hatte.
Jasmine ging die ganze Zeit fluchend auf und ab, und ihre Laune hatte die restlichen Partygäste längst vertrieben. Die schweren Schritte und ihr laut geäußerter Zorn hallten in der Festung wider. Sie war eine Xanthippe mit rabenschwarzen Haaren, ihre dunkelbraunen Augen glühten rot vor Zorn.
Sie würde sich das niemals vergeben. Niemals.
Sie hätte niemals auf Noah hören und auf Dämonenterritorium bleiben sollen. Wer außer ihr und Damien war schon dazu in der Lage, es mit dieser Vampirräuberbande aufzunehmen. Die Dämonen hatten ihr Bestes getan, aber um welchen Preis! Es war zu spät. Zu spät, um ihn zu retten.
Stephan.
Sie hörte vertraute Schritte auf der Treppe und hob den bekümmerten Blick zu Damien. Er hatte einen Arm ausgestreckt und winkte sie zu sich. Ohne darüber nachzudenken, wie verletzlich sie sich zeigte, warf sie sich ihm entgegen und ließ sich von ihm in die Arme schließen. Er tröstete sie stumm, wie nur er es je durfte, und teilte den Schmerz und die Trauer mit ihr. Er hatte in dieser Nacht so viel verloren, und es hatte ihn schwer mitgenommen. Es nahm ihn noch immer schwer mit, und es würde noch sehr lange nachwirken.
Denn an diesem Abend war es ihm nicht gelungen, die eigenen Leute zu beschützen, und am folgenden Tag würde es das ganze Vampirvolk wissen. Dieses Versagen würde das Werk von Jahrhunderten zunichtemachen, in denen er Respekt genossen hatte und wo andere mit ihren Ambitionen nicht zum Zug gekommen waren. Die Sicherheit seiner Festung wäre für Jahrzehnte nicht mehr gewährleistet, wenn überhaupt je wieder. Man würde ihn für schwächlich oder kraftlos halten, für einen schlechten Anführer. Selbst diejenigen, die bisher noch nie daran gedacht hatten, würden ihn jetzt herausfordern.
Denn der Vampirthron wurde allein durch die Verdienste im Kampf gewonnen. Nur sein Tod würde ihn zum Abdanken zwingen können. In der Vergangenheit hatte er alle Herausforderer stets mit Leichtigkeit ausgemacht, und es waren nie viele gewesen. Jedenfalls nicht mehr, seit er sich ein Drittel des Vampirvolkes vorgeknöpft hatte, das dumm genug war, während der ersten drei Jahrhunderte seiner Regentschaft in Höchstform auf seiner Schwelle aufzutauchen. Danach hatten sie vernünftigerweise aufgegeben und sich darangemacht, ihre Ränge wieder einzunehmen.
Jetzt, nach der Sache mit Syreena und nach der Sache mit der außer Kontrolle geratenen Bande und dem Tod von Stephan und drei weiteren hoch geschätzten und starken Mitgliedern der Vorhut, fragte sich Damien, ob sie nicht recht damit hatten, an ihm zu zweifeln. Er fühlte sich plötzlich wie erschlagen, seine Beine gaben nach, und er ließ sich schwer auf die Stufen fallen. Dann zog er Jasmine hinunter auf die Knie zwischen seine Beine, und sie umschlangen sich fest.
Er war der Einzige, dem sie je erlaubt hatte, ihr so nah zu kommen. Sie liebten sich, seit er sie als kleines Mädchen unter seine Fittiche genommen hatte. Jetzt war sie die Zweitmächtigste unter den Vampiren, wenn auch nicht die Zweitälteste, und sie war die Einzige, bei der er ehrlich Angst hatte, sie in einem Kampf zu verlieren, wenn es denn dazu kommen sollte. Einfach weil er es nicht ertragen könnte, wenn sie einen solchen Verrat an ihm begehen würde
Nein, ihre Loyalität stand außer Frage, trotz ihres Herumgezickes und ihres Getues wegen Syreena. Mit ihr an seiner Seite bräuchte er sich um seinen Thron keine Sorgen zu machen. Sie beide konnten allem trotzen.
So war es jedenfalls noch vor einem Jahr gewesen. Als er sich
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