Schattenwandler 05. Noah
Verständnis aufbringen für eine Frau, die meinem ganzen restlichen Leben einen Sinn geben wird.
Bella, sie hat solche Angst vor Nähe, dass schon die kleinste emotionale Regung von ihr oder von mir sie total ins Schleudern bringt. Logisch, wenn man weiß, was sie durchgemacht hat. Natürlich verstehe ich bei ihrer Geschichte, dass das ein Hindernis für sie ist und dass ich vorsichtig mit ihr umgehen muss. Aber …«
»Aber dein Herz möchte es laut hinausschreien? Logik hin oder her?«
»Ich bin abgehauen. Ich … ich konnte nicht länger bleiben, aber es war falsch, dass ich gegangen bin. Total falsch. In meinem ganzen Leben habe ich noch nie eine Frau so behandelt. Ich kann einfach nicht klar denken, wenn ich mit ihr zusammen bin!« Seine Hände öffneten sich und schlossen sich wieder krampfartig. »Ich bin zu dir gekommen, weil du meine einzige Verbindung zwischen der Kultur der Dämonen und der Menschen bist. Die Einzige, von der ich wirklich glaube, dass sie versteht, wie wichtig das für mich ist. Legna gibt mir Ratschläge, aber ich bin nicht sicher, ob sie die Wahrheit sieht, weil sie mich liebt und daher parteiisch ist. Du liebst mich seit Kurzem immerhin nicht mehr so sehr«, sagte er trocken. »Aber vielleicht doch so, dass du pragmatisch und ehrlich bist. Und hoffentlich weise genug, um mir zu raten.«
»Mannomann! Das ist ja nicht gerade viel verlangt, oder?«, entgegnete sie schlagfertig, und er musste tatsächlich leise lachen. Sie griff nach einer seiner geballten Fäuste. »Noah, ich habe nur einen Rat für dich. Und das ist der einzige, den dir jemand mit ein bisschen Grips geben sollte.«
Er blickte auf und atmete erwartungsvoll ein.
»Ich weiß sehr wenig über Kestra, und ich habe heute nur kurz mit ihr gesprochen, aber sie ist eine vernünftige und intelligente Frau. Bei so einer Frau muss man nur eins tun.« Sie lächelte sanft. »Sei so, wie du bist. Sei du selbst, Noah. Sei nicht mehr so zögerlich und gehemmt, geh aus der Deckung. Sie wird nie erfahren, wer du bist, wenn du ihr die ganze Zeit etwas vorspielst und dich zügelst. Sie hat Angst? Sie fürchtet sich? Und du hast Angst, sie läuft davon?« Er nickte mit weit aufgerissenen Augen und aufmerksamem Ausdruck. »Lass sie. Jeder, der deine Liebe erfährt, muss sie auch erwidern. Und sie wird sie erwidern. Aber sie muss dich so nehmen, wie du bist. Sie muss dich um deinetwillen lieben. Mit all deinen Stärken und Schwächen.«
»Ich habe das Gefühl, man erzählt mir überall das Gleiche, nur kommt die Botschaft nicht bei mir an«, sagte er mit einem Kopfschütteln.
»Weil du dich von deinen Ängsten leiten lässt. Und ich kann das verstehen. Liebe ist eine beängstigende Sache. Die Möglichkeit, die Person, die du liebst, zu verlieren, ist wirklich entsetzlich. Aber … wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Noah«, sagte sie und beugte sich näher zu ihm, »du bist ein wundervoller Mann, der mit einer ganzen Reihe von schwierigen Dingen auf einmal konfrontiert war. Du bist nicht der Erste, der da den Mut verliert, und du wirst auch nicht der Letzte sein. Samhain geht zu Ende, das Schlimmste ist bald überstanden. Du wirst dich bald etwas geerdeter fühlen. Wie dem auch sei, wenn sie dich aushält, wenn du am unerträglichsten bist, dann stell dir vor, wie einfach es von da an sein wird. Hör auf, sie zu verhätscheln. Sie kann einiges aushalten, soweit ich das beurteilen kann. Sei einfach so, wie du sein sollst, offen und Dämon und König, und jetzt lehn dich zurück und atme.«
»Ich soll atmen?«
»Atme einfach.«
Noah lehnte sich zurück und atmete einmal tief durch.
Erschöpfung hatte Kestra schließlich übermannt, und sie war in einen tiefen Schlaf gefallen. Noah kehrte ins Schloss zurück. Er fand sie im Großen Saal, vor dem Kamin in ihrem Lieblingssessel zusammengerollt, und ihr Gesichtsausdruck war selbst noch im Schlaf angespannt und verletzt. Er verfluchte sich selbst dafür, dass er sie so verletzt hatte.
Trotzdem hatte Isabella recht. Er konnte nicht weiter um sie herumschleichen. Sie würde Panik bekommen, sie würde Angst haben, und er musste sich darauf einstellen, doch er konnte sie nicht länger in dem Glauben lassen, dass er etwas anderes war als er selbst. Es war wie eine Lüge, und er verachtete solche Tricksereien. Wahrscheinlich hatte es ihn deswegen so beschäftigt. Er hatte versucht, geduldig zu sein, doch er hatte es falsch angepackt. Er hatte versucht, seine Gefühle zurückzuhalten, wo er seine
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