Schattenwandler 05. Noah
solltest wissen, dass es dich in Konflikt mit denen bringen wird, die du liebst! Du wirst Jacob und Isabella zwingen …«
»Sie können es ja versuchen. Allerdings glaube ich, dass sie nicht so erpicht darauf sein werden, solange du, Corrine, und Leah in der Schusslinie seid. Und jetzt hör auf, Zeit zu schinden, und geh in dein Allerheiligstes. Je länger du brauchst, desto wahrscheinlicher ist es, dass es am Ende zu der Konfrontation kommt, vor der du dich so fürchtest.«
Stumm und schmerzerfüllt wandte sie den Blick von ihm ab und gehorchte. Die Situation war unerträglich. Sie hatte bisher noch nicht viele Partner gesucht, doch sie hatte noch nie daran gedacht, dass es auch negative Folgen haben könnte. Wenn sie sich einen Moment Zeit genommen hätte, darüber nachzudenken, hätte sie begriffen, dass ein Zwischenfall wie dieser die Dämonen in Scharen davon abhalten konnte. Mehr noch als bisher.
Auf einmal wurde sie in ihren Meditationsraum gestoßen, wo sie erst vor ein paar Stunden Zeugen der Tragödie geworden waren. Sie fiel in dem Durcheinander aus schmutzigen Kissen und verstreuten Kräutern auf die Knie; Kane hatte sie überredet, erst am nächsten Tag aufzuräumen. In dem Raum roch es noch immer durchdringend nach verbrannten Kräutern, nach Rauch und sogar nach Spuren von dem kurzen Moment in Chicago.
»Weck das Kind«, befahl Noah kalt, stellte ein paar Kerzen auf und zündete sie und die Kräuter mit einem bloßen Gedanken an.
»Unmöglich. Nicht um diese Tageszeit.«
»Ich werde dir helfen«, sagte er und warf ihr wieder dieses verstörende Lächeln zu.
Leah regte sich in ihren Armen mit einem unleidlichen Quengeln. Corrine wiegte sie, während sie Noah aufmerksam dabei zusah, wie er Dinge in ihrem heiligen Raum veränderte.
»Noah, was soll ich denn bitte tun? Ich weiß ja nicht einmal, was ich beim ersten Mal getan habe!«
»Tu einfach, was du immer tust«, sagte er gelassen. »Es war Leah, die mich zu ihr geführt hat. Du hast ihr bloß die Spur gezeigt.«
Da fiel es Corrine wie Schuppen von den Augen. Natürlich! Sie kannte die Prophezeiung von Leahs Geburt genauso gut wie alle anderen. Warum war sie nicht früher darauf gekommen? Der Vorfall hatte sich in dem Moment ereignet, als ihre Nichte ihr Ritual unterbrochen hatte. Und jetzt hoffte Noah, er könnte den Effekt wiederholen. Doch mit welchem Ausgang?
»Ich werde sie nicht sterben lassen, Corrine.«
»Oh mein Gott, du willst sie in die Gegenwart holen«, stöhnte Corrine, und die Vorstellung machte ihr Angst. »Du willst versuchen, sie zu retten und sie hierher zu bringen! Mein Gott, Noah, hast du eine Ahnung, was für Folgen es haben kann, wenn man mit dem Schicksal spielt? Du und deine Dämonen, ihr ehrt das Schicksal. Es ist eure Religion! Und du weißt nicht einmal, ob es überhaupt möglich ist.«
»Ich weiß, dass ich damit womöglich ihr Leben retten kann«, unterbrach er sie abweisend, »und das ist alles, was mich interessiert.«
Natürlich war es für jemanden in seinem Zustand einfach. Isabella hatte ihr einmal erzählt, dass man mit einem Dämon, der im Kampf lag mit den Versuchungen, nicht argumentieren konnte; das gelang allenfalls den Vollstreckern. Ihre bloße Anwesenheit hatte eine bezwingende Wirkung. Doch Corrine zweifelte allmählich daran, dass schon allein das Erscheinen der Vollstrecker auf Noah irgendeinen Eindruck machen würde. Er wusste, was er tun wollte, und er war entschlossen, es wirklich zu tun. Selbst Dinge, die ihn vernichten würden, wenn er wieder bei Sinnen wäre.
Tränen traten der jungen Druidin in die Augen, als sie darüber nachdachte. Sie war nur dankbar, dass Leah noch viel zu jung war, um zu begreifen, was vor sich ging, und ihr Verhalten ihrem Onkel Noah gegenüber kaum ändern würde. Corrine wusste, dass sie selbst, auch wenn das alles jetzt sofort aufhören würde, das nicht könnte.
»Noah, du weißt doch gar nicht, ob es überhaupt funktioniert. Du setzt das Leben von uns allen aufs Spiel für ein Leben, das vor einer Woche geendet hat. Bitte! Bitte …«
Das nächste Wort blieb ihr im Halse stecken, als sich die Hand des Königs wie ein Schraubstock brutal um ihren Nacken legte. Er packte ihr Haar und riss ihren Kopf zurück, sodass sie ihm in die Augen sehen konnte. Kalt und grau und leblos blickten sie Corrine an.
»Ich schlage vor, du konzentrierst dich auf deine Aufgabe.«
Jacob materialisierte sich ein paar Sekunden nach seiner Frau aus einer Staubwolke. Sie befand
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