Schattenwandler 05. Noah
Kugel eine Leitung getroffen hatte und das Wasser herauslief. Sie hatte keine andere Wahl, als rasch rückwärts in den Wohnzimmerbereich zu kriechen.
Kaum hatte sie die Knie auf den Teppich gesetzt, da packte eine riesige Pranke sie an ihrem geflochtenen Zopf und riss sie grob hoch.
Dann spürte sie das Brennen einer heißen Pistolenmündung an ihrer Schläfe.
Es gab ein Klatschen von Haut auf Haut, eine Sekunde bevor die Waffe neben ihrem Ohr abgefeuert wurde. Kestra fiel zu Boden, stellte jedoch wundersamerweise fest, dass ihr Kopf unversehrt war. In ihrem Ohr klingelte es schmerzhaft, doch ihr Angreifer hatte sie verfehlt. Rasch blickte sie auf und sah, warum.
Ein großer schwarzhaariger Mann mit der Figur eines Raufbolds hielt den Schützen am Arm fest und tat genau das, was sie auch getan hätte, wenn sie die Gelegenheit dazu gehabt hätte. Er machte Hackfleisch aus ihm. Er packte den schreienden Gangster hinten am Kragen und knallte ihn mit dem Gesicht so fest gegen die Wand, dass Kestra sich leicht vorstellen konnte, wie ein oder zwei Knochen brachen.
Sie hatte nicht geträumt.
Sie sah zu, wie ihr Angreifer ohne Rücksicht auf Leib und Leben fallen gelassen wurde, ein Zeichen der Verachtung, das sie durchaus teilte. Dann sah sie einen zweiten Mann, wie er durch die Biegung des rückwärtigen Flurs lief, eindeutig derjenige, der sie durch die Wand hatte erschießen wollen.
»Pass auf!« Ihre Warnung war nicht nötig. Der Neue nahm die Verfolgung des zweiten auf, und es schien ihn überhaupt nicht zu kümmern, dass die beiden Männer bewaffnet waren. James warf ihr manchmal vor, sie habe Todessehnsucht; dieser Mann, der versuchte, ihr das Leben zu retten, war die Verkörperung dieses Begriffs. Er war außerdem unglaublich schnell. In einem Moment hatte er eine Pistole vor der Nase, und im nächsten hatte er den Arm des Mannes gepackt, beinahe ganz herumgedreht und schlug ihm mit einer Geschwindigkeit, die bei seiner Größe unwirklich erschien, ins Gesicht. Sie erkannte einen geübten Kämpfer, wenn sie einen sah, aber das übertraf sogar ihre Erfahrungen. Hier ging es nicht um einen Schlagabtausch, es war er allein, der routiniert jeden Angriff abwehrte.
Als der zweite Gangster zu Boden ging, drehte er sich um, und ihre Augen weiteten sich bei dem imponierenden Anblick, den er bot: die kräftigen Beine gespreizt, die Hände halb zu Fäusten geballt, graugrüne Augen, die im Kampffieber glänzten. Und auf eine Weise gekleidet, die sie nur als altmodisch beschreiben konnte. Mit seinen hautengen Kniehosen und dem weit geschnittenen, wallenden Seidenhemd, das in der schmalen Taille im Hosenbund steckte, sah er aus, als wäre er gerade von einem alten Piratenschiff geklettert. Bis zu seinen blank polierten Stiefeln und dem kurzen Pferdeschwanz, der mit einem schlichten schwarzen Lederband oder etwas Ähnlichem zusammengebunden war.
»Komm mit.«
Er reichte ihr die Hand, während sie ihn von unten herauf anstarrte.
»Von wegen!«, rief sie aus, stand hastig auf und wich ein Stück von ihm zurück. »Danke für die Hilfe, aber ich bin wirklich fertig hier.« Sie hob ihre Waffe und richtete sie auf ihn. Sie hatte kaum einen Schritt gemacht, als er seine Finger wie Stahl um ihren linken Oberarm schloss und sie mit entwürdigender Schnelligkeit und Leichtigkeit entwaffnete und so dicht vor sie hintrat, dass ihre Körper zusammenstießen.
»Ob du freiwillig mitkommst oder nicht, das ist deine Entscheidung, aber du wirst mitkommen.«
Für einen kurzen Augenblick spürte Kestra, wie gut ihre angespannten Körper zueinanderpassten, als sie so dicht voreinander standen, dass jeder die Wärme des anderen spürte. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, als das Gefühl sie überkam, dass sie ihn irgendwie kannte. Irgendwie waren ihr sein Körper, seine Wärme und selbst sein Kommandoton sofort vertraut. Vertraut, aber nicht zuzuordnen.
»Ich ziehe es vor, nicht mitzukommen.«
Sie bewegte sich geschmeidig und entschlossen, als sie seinen Griff um ihren Arm blitzschnell abschüttelte und zurücksprang, um ihn anzugreifen. Er duckte sich gerade noch rechtzeitig, um nicht einen Schlag auf die Nase zu bekommen. Sie ging auf ihn los, wobei ihn nur die Hälfte ihrer Schläge trafen, und sie begriff, wie sie ihn am besten täuschen und ihm ausweichen konnte. Doch kämpfte Kestra in diesem Moment mit Gefühlen, ohne wahrscheinlich selbst zu wissen, warum. Ein echter Vorteil für sie, dass er nicht gewillt war,
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