Schattenwandler 05. Noah
betraf.
Kestra streckte auch die andere Hand aus und stieß ihn mit ganzer Kraft zurück.
»Geh weg von mir!« Trotz ihrer Anstrengung wich er nicht zurück. Er war noch genauso nah wie zuvor. »Ich schwöre bei Gott, ich tu dir weh, wenn ich muss!«, drohte sie ihm, und ihr ganzer Körper zitterte vor Wut und Frustration.
Obwohl er wusste, dass sie ihm nicht wirklich etwas tun konnte, fand Noah, dass es das Beste wäre, wenn er nachgab. Er trat zurück und gab ihr Raum zum Atmen. Sie stieß scharf die Luft aus und entspannte sich, indem sie sich an die Tür lehnte, als wäre sie am Ende ihrer Kräfte. Und wahrscheinlich war sie das auch. Ihre Emotionen kochten genauso hoch wie seine, sie versteckte sie nur für gewöhnlich hinter einer kultivierten Fassade, hinter geschickter Diplomatie und Logik. Genau wie er es tat. Es war außergewöhnlich, ein weibliches Wesen kennenzulernen, das ihm in seinen wichtigsten Eigenschaften glich. Er fragte sich, was passieren würde, wenn sie sich wandelte. Was für eine Art Druidin würde sie werden? Über welche Fähigkeiten würde die Frau verfügen, die die Gemahlin des Dämonenkönigs werden sollte?
Noah wusste, dass er sie vor all den Dingen warnen musste, die ihr bevorstanden. Er wusste, dass er ihr nicht wirklich versprechen konnte, sie ziehen zu lassen, jedenfalls nicht für längere Zeit. In der frühen Phase der Wandlung vom Menschen zur Druidin würde sie Gefahr laufen, krank zu werden, wenn sie von seiner Energiequelle abgeschnitten war.
Doch sie war eine Frau, die an ihre Freiheit gewöhnt war, und er hatte nicht den Mut, ihr alles auf einmal zu nehmen. Er würde einen Weg finden, sie gehen zu lassen und sie trotzdem dazubehalten – wenn er musste. Er hoffte, er fand einen Weg, sie zum Bleiben zu überreden.
»Ich gehe jetzt«, sagte sie, und ihr Atem ging schneller, als sie auf seine Bitte zurückkam. »Ich danke dir für die liebenswürdige Einladung, doch ich fürchte, es ist mir unmöglich, zu bleiben.«
Noah hob eine Braue, und einen Augenblick zu spät wurde ihr bewusst, was sie getan hatte. Seltsamerweise war sie in ihr wohlerzogenes Verhalten zurückgefallen und hatte damit etwas Wichtiges über sich preisgegeben. Sollte er beschließen, sie aufzuspüren, Jagd auf sie zu machen, wäre es einfacher, sie zu finden. Niemand konnte seine Vergangenheit jemals hinter sich lassen. Es war ihr Schwachpunkt, und sie hatte ihm etwas preisgegeben, aus dem er Nutzen ziehen konnte.
»Jemand wird dich zu einem Hotel in der Nähe vom Flughafen Heathrow bringen. Doch von da ab wirst du auf dich allein gestellt sein, was den Reisepass und andere Dinge betrifft. Wegen Geld musst du dir keine Sorgen machen. Ich werde ein Zimmer auf deinen Namen reservieren lassen, und du kannst alles auf die Rechnung setzen. Ich werde mich darum kümmern.«
»Ich brauche deine Almosen nicht. Ich bin …«
»Sehr wohl dazu in der Lage, dich um dich selbst zu kümmern, ich weiß. Aber dein Gesichtsausdruck verrät mir, dass du nicht damit gerechnet hast, mittellos so weit weg von zu Hause zu sein. Da ich dafür verantwortlich bin, ist es nur recht und billig, dass ich es wiedergutmache. Warte hier. Ich schicke dir gleich jemanden herauf.«
Er fasste sie am Ellbogen und schob sie sanft beiseite, damit er den Raum verlassen konnte. Sie schloss rasch die Tür, als sie draußen war, lehnte sich dagegen und atmete so tief ein, als wäre es seit Tagen das erste Mal.
Noah saß vor seinem Kamin im großen Salon.
Ganze sechzig Sekunden lang.
Dann stand er auf und ging vor dem großen Kamin auf und ab. Das Feuer spendete ihm kaum Trost. Er hatte das Gefühl, als würde seine Haut schreien, als wollte sie sich von seinem Körper lösen.
Er hatte es tatsächlich geschafft, sie gehen zu lassen.
Es waren zwar nur ein paar Stunden gewesen, doch die hatten ihn noch stärker an sie gebunden, als er erwartet hatte.
Es lag nicht daran, dass er die Begierden seines Körpers nicht unter Kontrolle gehabt hätte, obwohl dieser Kampf schlimmer war denn je, jetzt, wo sie einander gegenübergestanden hatten. Es war das Wissen darum, dass er ihr nahe gekommen war, dass er ihr Druidenwesen zum Leben erweckt hatte, und dass sie nicht die geringste Ahnung hatte, wie lebensbedrohlich es für sie sein könnte, wenn sie in den nächsten Wochen nicht in seiner Nähe wäre.
Noah hatte nicht vor, lange wegzubleiben, selbst wenn er es gekonnt hätte. Unglückerweise arbeitete die Zeit gegen ihn. Abgesehen von dem,
Weitere Kostenlose Bücher