Schattenwandler 05. Noah
und darauf aus, sich die nächste Beute zu holen.
»Auf Dämonenterritorium?«, entgegnete Cygnus höhnisch. »Das wäre nicht besonders schlau, solange wir kein bestimmtes Ziel haben.« Er bemerkte, dass der Drang der anderen, sich über logische Argumente hinwegzusetzen, immer stärker wurde. Man brauchte kein Telepath mit seinen Fähigkeiten zu sein, um festzustellen, dass sie manchmal ernsthaft über ein Komplott gegen ihn nachdachten. Vor allem sein Bruder mit seinem Größenwahn, dem weder seine Fähigkeiten noch seine Intelligenz entsprachen. »Die Dämonen würden merken, dass wir hier sind. Ich möchte mir das erst einmal anschauen und einen genauen Plan machen, bevor wir zuschlagen. Wenn ihr jagen wollt, geht in irgendein Gebiet, das weniger von Dämonen bevölkert ist, und sucht euch Menschen als Beute.«
»Pah! Menschen können einem keine besonderen Kräfte verleihen. Seit wir letzte Woche diese süße kleine Mistral hatten, will ich mehr«, widersprach Quinton und wischte Cygnus’ Vorschlag mit einer Handbewegung ungeduldig weg.
»Mistrals sind ein leichtes Ziel. Erwisch sie, wenn sie noch ganz jung sind, und sie können sich kaum zur Wehr setzen. Dieser sinnenbetäubende Gesang funktioniert bei älteren Vampiren nicht so gut. Mit unserer Telepathie können wir diesem Taschenspielertrick locker ausweichen. Mit Dämonen ist es allerdings etwas anderes. Die sind von Natur aus angriffslustig. Besonders ein paar von denen, die wir als Beute ins Visier genommen haben.«
»Dann lassen wir eben die Finger von denen, die ein Risiko darstellen, und schnappen uns die jüngeren.«
»Eine Überlegung, die uns allen beweist, warum du nicht der Anführer bist«, blaffte Cygnus, der mit einem Mal die Geduld verlor. Mit einer leisen, eindringlichen Warnung erhob er sich aus seinem Stuhl: »Ich bin über zweihundert Jahre älter als ihr, und meine Kräfte übertreffen bei Weitem die Kräfte des Besten von euch. Wagt es ruhig, mich herauszufordern, wenn einer von euch glaubt, dass er ein besserer Anführer ist.« Stille trat ein, während er nacheinander jeden Einzelnen aus der Gruppe anblickte. Sein Bruder war der Einzige, den es zu reizen schien, es auf einen Streit ankommen zu lassen, doch Cygnus kannte das schon. »Na schön. Verschwindet und geht auf einem geeigneten Gebiet jagen, dann kommt zurück und schlaft euch aus bis zum Einbruch der Dunkelheit, und ich verspreche euch, morgen werden wir uns ein Prachtstück holen.«
Cygnus starrte seinen Halbbruder durchdringend an.
Quinton verfluchte ihn leise, und mit einer dunklen Lichtexplosion verwandelte er sich auf einmal in eine Amsel, eine Fähigkeit, die er von der Mistral, deren Blut sie getrunken hatten, angenommen hatte. Der ältere Vampir sah dabei zu, wie sie durch Türen und Fenster verschwanden, und dachte gründlich darüber nach, wie er weiter vorgehen und die anderen in Schach halten sollte.
Kestra erschauderte, als sie in das Schwimmbecken blickte. Sie konnte ihre plötzliche Abneigung gegen eine ihrer liebsten Sportarten nicht verstehen, doch die Vorstellung, in das kalte Wasser zu springen, verursachte ihr eine Gänsehaut. Das Becken war beheizt, sagte sie sich, während sie einen Schluck aus der Wasserflasche nahm, die sie neuerdings ständig bei sich trug. Obwohl das Schwimmbecken von Glas umgeben war, drang die Kälte des Spätoktobers von allen Seiten herein. Sie seufzte und strich sich mit einer Hand durch ihre Stirnfransen und durch ihr Haar. Wie es schien, hatte sie sich den Badeanzug ganz umsonst angezogen.
Sie wandte sich zum Haus um und biss sich nachdenklich auf die Lippe. Es gab einen Whirlpool neben dem Schwimmbecken, doch aus unerfindlichen Gründen war es die Sauna, die sie lockte. Das wäre dann schon das dritte Mal an diesem Tag, dass sie in diesen hoch erhitzten Raum ging. Kein Wunder, dass sie Wasser trank wie verrückt. Sonst würde sie wahrscheinlich vollkommen austrocknen.
Vielleicht hatte sie auch deshalb seit Kurzem das Gefühl, dass jeder Schritt sie anstrengte. Möglich, dass sie sich einen Bazillus eingefangen hatte, den sie instinktiv auszuschwitzen versuchte. In diesem Fall war ein dritter Saunagang eine gute Idee.
Sie machte sich auf den Weg zu ihrer großen Suite mit angrenzendem Bad und Sauna, schlüpfte aus ihrem Badeanzug, schlang ein dickes Frotteehandtuch um die Hüften und trat in den mit Zedernholz verkleideten Raum, der bereits von schwerem Dampf erfüllt war, da sie die Sauna unbewusst nicht
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