Schattenwandler: Adam (German Edition)

Liebhaber getötet hatte.
    Vorerst jedenfalls.
    Ruth wandte sich zu ihrem Bett um, umweht von zarter Seide, während sie in einem hübschen rosafarbenen Kleid darauf zuging. Sie setzte sich neben den Leichnam ihres Liebhabers und strich ihm das Haar zurück, während sie mit der freien Hand langsam den Griff eines juwelenbesetzten Dolchs umklammerte, der in seinem Mund steckte. Sein Körper befand sich in der Totenstarre, weshalb sie Mühe hatte, ihn herauszuziehen. Die Klinge war sehr scharf, und es bedurfte nur weniger Versuche, bis er sich aus Schädel und Kiefer löste.
    Ruth wartete mehrere Herzschläge lang. Wenn Nico früher schwer verletzt worden war, hatte es genügt, die Waffe zu entfernen, bevor der Heilungsprozess einsetzte. Dann kehrte er wieder ins Leben zurück.
    Doch diesmal war es anders, das wusste sie. Diesmal war sein Gehirn am Hinterkopf verletzt worden, die entscheidende Verbindung, die nicht von selbst heilen konnte.
    Doch sie wartete immer noch. Sie achtete nicht auf seine grausame Totenmaske, auf die Kälte seiner Haut. Er hatte sich schon so kalt angefühlt wie der Tod, wenn er auf die Jagd gehen musste. Sie hatten sich sogar noch geliebt, während sich seine Glieder bereits eiskalt angefühlt hatten. Es war ein schaurig erotisches Erlebnis gewesen.
    Doch jetzt war es nicht so. Sie musste einen Weg finden, irgendeinen Zauber, um ihn zurückzuholen, oder er wäre endgültig tot. Jetzt, wo sie wusste, was Noah und seine Gefolgsleute vorhatten, konnte sie sich darauf konzentrieren, dieses Wundermittel zu finden.
    Ruth eilte zum Tisch, wo sich Berge von Handbüchern mit Zaubersprüchen stapelten, manche Hunderte von Jahren alt, andere von ihr selbst handschriftlich verfasst. Das war das Schöne an der Magie, die sie gelernt hatte. Wenn man den passenden Zauberspruch nicht finden konnte, konnte man ihn sich selbst ausdenken, indem man Teile von anderen Zaubersprüchen verwendete. Es funktionierte nicht immer so, wie man wollte, doch es war immer unterhaltsam, herauszufinden, was ein neuer Zauberspruch bewirkte. Und manchmal funktionierte es perfekt.
    Sie schlug einen Spruch zum Wiederbeleben von Toten auf, doch sie schüttelte den Kopf. Noch nicht. Er kam nur dann infrage, wenn nichts anderes mehr funktionierte, denn der Zauberspruch wirkte nur achtundvierzig Stunden; dann würde der Leichnam zu Staub zerfallen und wäre nicht mehr zu gebrauchen … außer vielleicht als Grundlage für andere, kompliziertere Zaubersprüche.
    »Du wirst mir so oder so helfen, Liebling«, sagte sie laut, während sie die Seiten durchblätterte. »Doch ich will dich lieber lebendig und voll einsatzfähig. Dass sie dich für tot halten, ist unser Vorteil.«
    Sie wurde langsamer, und Wut drohte sie zu übermannen. Manchmal wurde sie geradezu blind vor Zorn, wenn sie einen solchen Anfall bekam. Ja, dachte sie, sie hatten ihr alles genommen. Dieser arrogante Noah und seine nervtötenden Dämonen. Und währenddessen hatten sie jeder eine zusätzliche Last auf sich genommen, hatten ihr Herz verschenkt, was sie tausendmal verwundbarer machte.
    Sie wusste, dass sie dort zuschlagen musste, wenn sie ihre Feinde ein für alle Mal loswerden wollte. Sie und Nico hatten an diesem Abend versucht, Isabella und ihre Kleine zu schnappen, weil sie wussten, dass es Jacob vernichten würde, wenn sie ihm die beiden wegnahmen. Nun, und es hätte den zusätzlichen Vorteil, dass Nico vom Blut des ach so kostbaren Kindes der Zeit trinken konnte. Natürlich war sie noch viel zu jung, doch zu warten war nicht ungefährlich. Was, wenn sie die Fähigkeit entwickelte, in die Vergangenheit zu springen? Dann konnte sich Noah aussuchen, wann er Ruth angreifen würde, dann, wenn sie überhaupt nicht damit rechnete, und er würde sie vernichten.
    Doch das durfte nicht passieren. Ruth würde es nicht zulassen.
    Dabei war sie so dicht dran gewesen. Doch Adam hatte ihre Pläne durchkreuzt. Adam. Ein hervorragendes Beispiel dafür, über welche Kräfte Leah in Zukunft verfügen würde. Sie erinnerte sich an das aufsehenerregende Verschwinden des früheren Vollstreckers und wie man bei der Suche nach ihm alles auf den Kopf gestellt hatte. Nur damit er hier wieder auftauchte, Jahrhunderte später in der Zukunft, und Ruths größte Kraftquelle tötete … und ihren Gefährten. Sie hatten den Austausch vorgenommen, ihre Bindung vollzogen. Er hatte von ihrem Blut getrunken und ihre Fähigkeit erlangt, sich zu teleportieren. Sie hatte das Gleiche getan und die