Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenwende

Schattenwende

Titel: Schattenwende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Seck
Vom Netzwerk:
Hunger? Ich hab noch ein bisschen was im Kühlschrank.“
    Beide gaben ein zustimmendes Murmeln von sich und so begab sich Daphne in die Küche.
    Mit einem großen Teller, auf dem sie die Brote zusammen mit Gurken und Tomaten aufgestapelt hatte, und zwei Flaschen Wasser bewaffnet, kehrte sie ins Schlafzimmer zurück, das mittlerweile leer geräumt war. Selbst die Bilder, die an der Wand gehangen hatten, waren weg.
    Mark und Jason hockten im Schneidersitz auf dem nackten Boden und hatten offenbar auf ihr Erscheinen gewartet. Sie stellte ihre Mitbringsel in die Mitte und setzte sich ebenfalls.
    „Bitte, greift zu“, forderte Daphne die zwei auf und lehnte sich an die Wand, während sie ihnen beim Essen zusah.
    Sie selbst hatte keinen Appetit. Den hatte sie bereits den ganzen Tag noch nicht gehabt, obwohl sie sonst eigentlich gerne aß. Nicht besonders viel, aber mit Genuss. Doch seit gestern …
    Eisern verbot sie sich, auch nur an den gestrigen Tag zu denken. Sie wusste nicht, was geschehen würde, wenn sie sich die Ereignisse, die ihr Leben verändert hatten, wieder in Erinnerung rufen würde. Stattdessen wollte sie sie verdrängen, bis sie die Gelegenheit hatte, allein zu sein. Bis dahin musste sie die Fassade der Normalität aufrecht erhalten, wenn sie nicht wollte, dass jemand Verdacht schöpfte.
    „Magst du nichts essen?“
    Sie öffnete ihre halb geschlossenen Augen und starrte auf das Käsebrot, das ziemlich nah vor ihrem Gesicht schwebte.
    „Nein, danke. Ich hab’ keinen Hunger“, lehnte sie dankend ab.
    Jason runzelte die Stirn.
    „Aber du musst doch was essen. Du hast genauso hart gearbeitet wie wir.“
    „Ich esse später, zusammen mit Halie“, murmelte sie abwehrend und nahm den leeren Teller an sich.
    „Ich spül’ den kurz ab und stopf ihn in den Geschirrkarton, dann können wir losfahren.“
    „Klar.“ Jason stand auf und klopfte sich den Dreck von der Hose, ehe er Daphne seine Hand hinstreckte, um ihr aufzuhelfen. Sie zögerte einen Moment, denn sie berührte fremde Menschen nicht gerne. Doch er hatte ihr geholfen und so konnte sie schlecht unhöflich zu ihm sein. Sie ergriff seine Hand und er zog sie mit einem sanften Ruck hoch.
    „Danke.“ Aus irgendeinem Grund war sie verlegen und stahl sich in die Küche davon, ehe man ihr das anmerken konnte.
    Dort wusch sie rasch das übrig gebliebene Geschirr ab, wickelte es in altes Zeitungspapier ein und stopfte es in einen Karton, der als letzter nochim Flur stand. Die Männer waren schon wieder fleißig gewesen. Daphne bückte sich, um den Karton aufzuheben.
    „Lass mich das lieber machen. Der ist zu schwer für dich.“
    Verdattert trat sie zur Seite, als Jasons warme Hand sich auf ihren Rücken legte und sie bestimmt nach draußen dirigierte, ehe er den Karton auf den Arm nahm. Er ächzte leise über dessen Gewicht und folgte Daphne mit schweren Schritten zum Transporter, nachdem sie die Haustür sorgsam abgeschlossen hatte. Jason verlud den Karton und knallte die Türen mit Schwung zu. Strahlend rieb er sich die Hände.
    „Das ging doch schneller als erwartet, nicht wahr?“
    „Schon. Ich hätte auch nicht gedacht, dass wir so zügig fertig werden“,
    stimmte sie ihm zu, während sie vorne neben Mark Platz nahmen.
    Als dieser den Motor startete und den Transporter auf die Straße lenkte, warf Daphne einen langen Blick zurück.
    Sie konnte diese heruntergekommene Gegend verlassen.
    Sie konnte die Wohnung, in der sie sich immer gefangen gefühlt hatte, verlassen.
    Sie konnte das Verbrechen, das einen hier ständig verfolgte, verlassen. Aber konnte sie auch ihre Vergangenheit hinter sich lassen?
    Konnte sie ihre Andersartigkeit zurücklassen?
    Der Abend war schon weit fortgeschritten, aber in Smiths winzigem Büro, das sich direkt neben seinem Labor befand, brannte noch Licht. Seine dickliche Gestalt hing halb über dem Schreibtisch, den Laborkittel hatte er achtlos über die Stuhllehne geworfen. Die kleinen Augen waren in den angestrengt zusammengezogenen Schlitzen fast verschwunden und die Stirn war konzentriert gerunzelt. Auf seinem Schreibtisch stapelten sich mehrere Berge von Papier, allesamt mit unzähligen Zahlen, Formeln und Zeichnungen bekritzelt. Doch trotz aller Mühe, die er sich machte, ergaben sie keinen Sinn für seinen logischen Verstand. Er war sogar entgegen seiner Gewohnheit länger geblieben, um die ersten Testergebnisse, die er erhalten hatte, auszuwerten. Das, was Jones angedeutet hatte, war natürlich eingetreten.

Weitere Kostenlose Bücher