Schattenwende
und Nachdenken geöffnet.
„Was bist du?“, fragte sie den Vampir in einem Tonfall, der so gar nicht zu dem eines Kindes passen wollte.
Der Blonde ging vor ihr in die Knie, bis ihre Augen auf einer Höhe waren.
„Ich bin Cayden.“
Halie schüttelte mit gerunzelter Stirn den Kopf.
„Nein. Nicht wer du bist, sondern was du bist!“
Daphne hielt den Atem an. Wie konnte Halie das Geheimnis, das diesen Mann wie eine mystische Aura umgab, so unglaublich schnell erkannt haben?
Furcht hämmerte durch ihre Venen. Ria hatte ihr deutlich gemacht, dass Geheimhaltung das oberste Prinzip der Gemeinschaft, nein, der ganzenRasse war. Mit welchen Mitteln würden die Vampire ihr Geheimnis schützen? Was geschah mit Menschen, die einfach zu viel sahen?
„Halie …“, unterbrach sie ihre Tochter nervös, doch Cayden warf ihr einen scharfen Blick zu, der sie verstummen ließ.
„Du bemerkst erstaunlich viel, Halie“, antwortete er nach einigen Momenten endlos langen Schweigens.
„Ich denke, deine Mutter wird wissen, welches Wissen man dir anvertrauen darf und welches nicht.“
Er streckte seine Hand aus und fuhr ihr damit durch die langen, ungezähmten Locken. Halie, die sich sonst vor Berührungen Fremder scheute, hielt still, und ihre Augen hingen gebannt an seinem Gesicht.
„Kommst du wieder?“, fragte sie, nun wieder kindlich und flehend.
„Vielleicht kommst du schon bald zu mir.“
Er lächelte geheimnisvoll, ehe er sich aufrichtete, seine Augen zerstreut auf dem Mädchen ruhen lassend.
„Wirklich?“ Halie strahlte. „Mummy, hast du das gehört? Wir werden Cayden besuchen. Ist das nicht toll?“
Daphne wusste nicht, was sie sagen sollte. Mit ihrer Tochter auf dem Arm ein Haus voller tödlicher Vampire zu betreten, das war wirklich nicht das, was sie als gelungenen Ausflug bezeichnen würde. Und das würde sie auch ganz bestimmt niemals tun.
Sie funkelte Cayden mit unterdrücktem Unmut an.
„Das hast du wirklich geschickt eingefädelt. Wie kannst du in einem Mädchen eine Hoffnung wecken, die sich nie erfüllen wird?“, fragte sie leise, bemüht darum, ihre Haltung zu bewahren.
„Wie ich das tun kann?“, wiederholte er, während er gemächlich auf sie zukam.
Er schlang die Arme um sie, sodass es so aussehen musste, als würde er sich von einer guten Freundin verabschieden. Seine kräftigen Finger legten sich sanft, aber bestimmt um ihren Hinterkopf und drückten ihre Stirn an seine Schulter. Sein Mund näherte sich ihrem Ohr und senkte sich zu einem Flüstern.
„Deine Tochter ist wie du, Daphne. Sie ist eine Liyanerin.“
Sie versteifte sich augenblicklich, als sie die Bedeutung dieser Worte erfasste. Sie wollte ihn von sich stoßen und ihm sagen, dass das nichtstimmte. Halie konnte niemals eine Liyanerin sein. Das würde sie nicht zulassen! Es war schon schlimm genug, dass sie selbst so etwas sein sollte und allein dadurch ihre Tochter in eine nicht unerhebliche Gefahr gebracht wurde. Außerdem, wenn das wahr wäre, was dieser Vampir ihr weismachen wollte, dann hätte Halie das gleiche Symbol in ihren Augen, wie das, das sie selbst trug. Das Ria trug. Und das die Vampire manchmal trugen. Aber Halies Augen waren schwarz. Einfarbig schwarz. Sprenkellos. Keine Regenbogenfarben. Keine Strahlen. Sie kannte diese Augen ebenso gut wie ihre eigenen, wenn nicht sogar besser.
„Du lügst“, fauchte sie kaum hörbar und den Tränen nahe.
„Nein“, erwiderte Cayden ruhig. „Ich lüge nicht. Deine menschliche Sehkraft ist nicht stark genug, um das zu erkennen, was ich bereits sehe. Vielleicht wird es nur noch Monate dauern, vielleicht aber auch Jahre, bis das Symbol der Liya sich weit genug entwickelt hat, bis der Stern in ihren Augen hell genug strahlt, so dass auch du das Symbol erkennen kannst. Aber es ist da. Ich kann es dir zuliebe nicht leugnen und du solltest es auch nicht, wenn du deine Tochter nicht verdammen willst.“
„Verdammen? Du hast sie verdammt, eben, mit diesen Worten! Ich will, dass sie wie ein normales Mädchen aufwächst. In Sicherheit. In Frieden. Ohne Angst. Sie soll niemals von eurer Existenz erfahren!“
Er ließ sie so abrupt los, dass Daphne für einen Moment um ihr Gleichgewicht kämpfen musste. Das fröhliche Funkeln in seinen Augen war erloschen und hatte Platz gemacht für die Härte, die auch in den Blicken der anderen Krieger wohnte.
„Du wirst ihr Leben zerstören wie du deins zerstört hast. Wenn eine Liyanerin ihrer Bestimmung nicht folgt, wird sie
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