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Schattenwesen

Schattenwesen

Titel: Schattenwesen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rauchhaus
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auf mich gewartet, als sei das ihre einzige Aufgabe an diesem Tag.
    Mit einem entschuldigenden Lächeln setzte ich mich auf den einzigen eingedeckten Platz.
    »Ist Anna schon fertig?«, fragte ich, während ich mir etwas Fisch auf den Teller legte.
    Antonia antwortete nicht, und als ich sie fragend ansah, zuckte sie mit den Schultern und lächelte breit – als hätte ich sie auf Japanisch nach der Uhrzeit gefragt. Mit diesem Lächeln, das wie eintätowiert in ihrem Gesicht stand, verließ sie den Raum.
    Der Fisch war wie immer geschmacksneutral, aber inzwischen bemerkte ich es kaum noch. Vermutlich würde mich nach meiner Rückkehr nach Hause eine Prise Salz zu Tränen rühren. Geistesabwesend aß ich auf und lief schließlich die Treppen nach oben.
    Der Anblick meines Zimmers ließ mein Herz aussetzen. Ich fühlte mich, als wäre ich in einen Fahrstuhl eingestiegen, der keine Kabine mehr hatte. Auf jeden Fall war ich jetzt hellwach – und begriff: Mein Zimmer war durchwühlt worden!
    Zögernd trat ich ein und sah mich um. Wer würde so etwas tun? Einen Einbrecher im Dachgeschoss schloss ich aus. Wer auch immer das getan hatte, war hier aus dem Haus. Und er – oder sie? – hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, es unauffällig zu tun. Meine Kleider lagen aufgehäuft vor dem Schrank, mein Koffer stand offen und das Futter war aufgeschlitzt. Das Schlittschuhbild war von der Wand und aus seinem Rahmen gerissen worden. Und das Schlimmste: Paps’ Notizbücher lagen über den Boden verstreut, manche Seiten waren herausgerissen und die Innenseiten der Klappdeckel waren aufgeschnitten worden. Immer wieder fuhr ich mir mit den Fingern durchs Gesicht und durch die Haare, als würde beim erneuten Hinsehen alles wieder gut sein. Aber nichts war gut! Jemand war in mein Privatleben eingebrochen und hatte darin herumgetrampelt.
    Ich fiel auf die Knie und sammelte mit zitternden Fingern die Notizbücher ein, zählte sie durch, verzählte mich zweimal und stellte schließlich fest, dass alle noch da waren. Das kleine Gemälde legte ich auf den Nachttisch – den Rahmen konnte ich nur noch wegwerfen –, ich hob meine Kleidung auf und hängte sie zurück in den Schrank. Dabei fiel etwas sehr Leichtes zwischen zwei Blusen heraus und segelte zu Boden. Es war ein Halstuch. Ein »Plomo o Plata«, das genau zu Annas Outfit von heute Morgen passte!
    Wütend sprang ich hoch, riss die Tür auf und rannte ins Nachbarzimmer. Und blieb mitten in der Bewegung stehen, als hätte man mir den Stecker herausgezogen. Das Zimmer war leer. Das Bett war frisch gemacht, der Schrank stand zum Lüften offen und nicht ein einziges kleines Teil lag auf dem Nachttisch, auf dem Schreibtisch oder auf dem Boden. Es sah aus, als sei das Zimmer nie benutzt worden. Erst als ich mich umdrehte und wieder hinausgehen wollte, bemerkte ich etwas: An der Wand hing noch immer der Kalender und Annas Kunstlehrer strahlte mich auf seinem Porträt mit leuchtenden Augen an.
    Im Dauerlauf rannte ich die Treppe hinunter mit dem Gefühl, als würde mir die Lunge im Leib platzen. Und ich hielt erst wieder an, als ich vor der Labortür stand, pumpend und nach Luft schnappend und froh darüber, dass das heftige Atmen die Tränen zurückgedrängt hatte. Gott sei Dank, die Tür war offen! Cyriel hielt sich gerade einen Messbecher dicht vors Gesicht, während er eine bläuliche Flüssigkeit hineinfüllte. Meine Anwesenheit interessierte ihn offenbar wenig. Herr Nachtmann, der über ein altes, dickes Buch gebeugt stand, drehte sich um und sah michfragend an. Aber in seinem Gesicht stand das stille Lächeln, das ich von ihm kannte.
    »Was …?«
    »Wo … ist … Anna?«, keuchte ich.
    Sein Blick trübte sich ein wenig, als er auf mich zukam. »Tut mir leid, Kira. Ich weiß auch nicht, was in sie gefahren ist, das Ganze ist sehr ominös. Leider war ich heute Vormittag nicht im Haus, sonst hätte ich sie vielleicht aufhalten können. Cyriel sagte mir, dass sie einen Anruf bekommen hätte. Kurz darauf verkündete sie, dass sie uns verlassen würde, weil sie ein anderes Jobangebot hat.«
    »Sie hat … was?«, fuhr ich auf.
    »Mit weniger Spinnen, weniger Dreck und weniger Gespenstern, vermute ich.« Herr Nachtmann zwinkerte mir zu. »Wir wussten ja, dass die Lady Probleme mit der Umgebung hier unten hatte.«
    Ich warf Cyriel einen scharfen Blick zu, doch der reagierte nicht und arbeitete ruhig weiter. Hätte Anna ihn wirklich so kampflos aufgegeben? Oder hatte er ihre

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