Schattierungen von Weiß
sie verwirrt – und alarmiert zugleich. Was ihre Großmutter von ihr hielt, wusste sie ja zur Genüge, und dass sie sich jetzt wieder einmischte, verhieß nichts Gutes.
„Wenn sie die Betreuung für dich zugesprochen bekommt, dann kann sie versuchen, dich dauerhaft einweisen zu lassen. Ich weiß nicht, ob sie das wirklich vorhat, aber die Gefahr besteht.“
Mia riss entsetzt die Augen auf, sie schluckte heftig, wenn das stimmte, was Lydia sagte, dann war sich Mia sicher, dass ihre Großmutter das versuchen würde.
„Sie war eh schon empört, dass du die Einrichtung verlassen hast“, fuhr die Therapeutin fort.
„Du sollst aber wissen, dass wir da auf deiner Seite stehen, Mia. Gott sei Dank gibt es heute keine Entmündigungen mehr“, mischte sich Direktor Schneider ein. „Ich bin zwar enttäuscht von deinem Verhalten, aber das ginge entschieden zu weit. Und da haben wir auch ein Mitspracherecht, sollte es zu einer Verhandlung kommen.“
Mia war geschockt, ihr stiegen Tränen in die Augen, das alles wollte sie auf jeden Fall verhindern. „Aber… aber ich bin doch nicht so… so verrückt“, sagte sie mit weinerlicher Stimme.
„Nein, Mia, das bist du nicht, bist du nie gewesen“, Lydia griff nach ihrer Hand. „Aber du musst verstehen, dass wir dir die Wahrheit sagen müssen. Dein Verhalten hat nun einmal Konsequenzen, das hätte dir bewusst sein müssen.“
Mia nickte traurig.
„Nun gut, das hätten wir jetzt geklärt. Bis zu der Anhörung bleibst du erst mal wieder bei uns. Aber jetzt verrate uns doch mal, wo du eigentlich gesteckt hast“, Direktor Schneider lächelte ihr zu, dann blätterte er in irgendwelchen Unterlagen. „Aufgegriffen hat man dich an der Fähre nach Tanger. Wir hatten schon Mutmaßungen angestellt, dass du in Marokko sein könntest und die Fluggesellschaften abgeklappert, aber offenbar hast du den Landweg vorgezogen. Du warst in Gesellschaft eines jungen Mannes, Levin Webber…“, blätterte der Direktor weiter. „Mia, hat er dich zu irgendetwas gezwungen oder dich belästigt? Das müssen wir wissen.“
„Nein“, Mia schüttelte energisch den Kopf. „Ich habe ihn auf einer Autobahnraststätte kennen gelernt. Er hat gesehen, dass ich nach Marokko wollte und mich angesprochen“, Mia überlegte kurz, die Begebenheit mit dem Lastwagenfahrer – sollte sie die erzählen? Besser nicht, entschied sie.
„Was hast du denn auf einer Autobahnraststätte gemacht?“, Lydia schaute Mia erschrocken an. „Wolltest du per Anhalter nach Marokko?“
„Ja“, sagte Mia zerknirscht.
„Oh Mia“, Lydia stöhnte leise auf. „Das ist total gefährlich…“
„Das… das hat Levin mir auch gesagt“, gab sie zu.
„Du und dieser Levin – ihr seid also die ganze Zeit zusammen gewesen?“, bohrte Direktor Schneider weiter.
„Ja“, Mia lächelte kurz , als sie an die wunderschöne Zeit mit ihm dachte.
„Mia, tut mir leid, wenn ich jetzt so direkt frage, aber das ist wirklich wichtig: Seid ihr euch näher gekommen?“, Lydia griff noch einmal nach Mias Händen. „Du weißt, wie ich das meine?“
Mia senkte den Kopf, sie wollte darüber eigentlich nicht so gerne sprechen, das war ihre Angelegenheit, aber sie begriff auch, dass Lydia und der Direktor ihr nichts Böses wollten. Und sollte es wirklich stimmen, was sie über ihre Großmutter gesagt hatten, dann wäre es vielleicht besser, die Wahrheit zu erzählen.
Es war ja auch nichts Verwerfliches daran, oder?
„Ja…“
„Aber er hat dich nicht bedrängt oder gezwungen, ich muss das noch einmal fragen“, beharrte Direktor Schneider.
„Nein, gar nicht. Levin ist ein wunderbarer Mensch. Er war die ganze Zeit sehr lieb zu mir.“
„Das ist gut zu wissen“, lächelte Lydia ihr zu. „ Du trägst gar keine weiße Kleidung mehr – ist das auch wegen ihm?“
„Ich… ich wollte ihm gefallen“, Mia strich sich verlegen eine Haarsträhne hinters Ohr. „Und er hat mich dazu ermutigt.“
„ Ich glaube fast, dieser Levin hat mehr bei dir bewirkt, als wir in den ganzen letzten Jahren“, lachte Lydia auf. „Es ist schön, dich so zu sehen. Du siehst gut aus, Mia. Die Zeit scheint dir bekommen zu sein.“
„Trotz alledem kam das alles ein bisschen zu früh“, mischte sich der Direktor wieder ein. „Das Gericht wird auch Levin anhören wollen.“
„Muss das denn sein?“, Mia sah ihn erschrocken an. „Ich möchte nicht, dass er da mit reingezogen wird.“
„Das lässt sich nicht verhindern, er steckt schon
Weitere Kostenlose Bücher