Schattierungen von Weiß
wichtiger ist“, ein wenig schnippisch verschwand sie wieder in der Küche.
Doch Levin hatte keine Lust , sich um die Befindlichkeiten seiner Mutter zu kümmern, Mia war wichtiger und er wollte jetzt endlich erfahren, was Sache war.
„Also, ich habe hier das Gerichtsurteil mit Urteilsbegründung. Und hier sind einige Zeitungsartikel über den Fall. Es wurde damals viel darüber berichtet in der Presse, ich kann mich auch wieder daran erinnern. Ein junges Mädchen, das seine Eltern umgebracht hat, ist ja auch nichts Alltägliches.“
Levin runzelte die Stirn. „Mia sagte etwas in der Art, dass sie nur ihren Vater getötet hätte.“
„Mein Gott, über was redet ihr denn da immer?“, mischte Sonja Webber sich wieder ein. Sie stellte Levin einen Teller mit duftendem Essen hin.
„Mama, sei mir nicht böse, aber das interessiert mich brennend. Ich erzähle dir irgendwann mal alles genauer, okay?“, Levin lächelte sie lieb an, immerhin, sie schaute nicht mehr so böse.
„In Ordnung, mein Junge. Willst du hier schlafen? Du siehst sehr erschöpft aus“, sie streichelte Levin über den Kopf.
„Gute Idee“, tatsächlich hatte er überhaupt keine Lust, noch zurück zu seiner Wohnung zu fahren.
„Ich bereite dein Bett vor. Wenn ihr hier was zu bereden habt, dann gehe ich im Arbeitszimmer fernsehen.“
„Tu das, Sonja“, nickte James Webber ihr zu.
Levin atmete auf, als seine Mutter das Zimmer verlassen hatte, so lieb sie auch war, jetzt konnte er sie gerade gar nicht gebrauchen.
„Im Urteil steht, dass sie für den Tod beider Elternteile verantwortlich ist, wenn man das so nennen kann“, fuhr sein Vater fort.
„Was bedeutet das?“
„Gut, der Reihe nach. Der Tod der Eltern wurde entdeckt, weil der Arbeitgeber der Mutter stutzig geworden ist, als sie zwei Tage unentschuldigt gefehlt hatte. Mias Mutter galt als sehr zuverlässig und es war wohl bekannt, dass es zuhause zwischen ihr und ihrem Mann Spannungen gab.“
„Spannungen? Hat er sie geschlagen? Und Mia?“, Levin hielt den Atem an, sein Herzschlag beschleunigte sich.
„Von dem Mädchen ist nichts weiter bekannt, als dass sie eine gute, unauffällige Schülerin war, aber wenig Kontakt zu ihren Mitschülern hatte. Sie war eher isoliert und eine Außenseiterin“, berichtete James Webber. „Na, auf jeden Fall wurde die Tür zu der Wohnung aufgebrochen, man fand Mia in einer riesigen, bereits teilweise eingetrockneten, Blutlache sitzen – neben den Leichen ihrer Eltern.“
Levin sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an.
„Auch Mias Kleidung und ihre Hände waren blutbehaftet, sie hielt ein Messer umklammert; wie sich später herausstellte, war es die Tatwaffe.“
Levin schüttelte nur den Kopf, das war alles so unglaublich, so entsetzlich. Und doch konnte er sich nicht vorstellen, dass d as Mias Werk gewesen war.
„Weiter? Du siehst so aus, als könntest du einen Cognac vertragen“, fragte sein Vater ihn.
„Ja, das kann ich wirklich“, Levin legte die Gabel neben seinen Teller und nahm dankbar das Glas entgegen, das sein Vater ihm reichte.
„Weiter“, nickte Levin ihm dann zu, als er den Cognac in einem Zug hinuntergestürzt hatte.
„Auf der Tatwaffe waren nur Mias Fingerabdrücke zu finden, ihre Eltern starben nachweislich durch Stichwunden.“
„Hat Mia etwas ausgesagt?“, fragte Levin mit zitternder Stimme.
„Nein, überhaupt nicht. Mia hat nicht gesprochen, die ganze Zeit nicht, sie war verstummt. Die Gutachter bescheinigten ihr schwere psychische Störungen, das Gericht wies sie in eine psychiatrische Anstalt ein.“
„Hm, aber Mia kann wieder reden und sie sagt, sie hätte nur ihren Vater umgebracht. Und ich glaube ihr, es muss eine Erklärung für das alles geben. Vielleicht hat der Vater die Mutter misshandelt und auch Mia. Vielleicht war es eine Kurzschlussreaktion auf die Gewalt.“
„Möglich. Aber bei Mia wurden nie Spuren von Misshandlungen entdeckt, genauso wenig wie bei der Mutter. Die Obduktion ergab zwar, dass sie bereits einige Rippenbrüche gehabt hatte, aber das ist nur ein vager Hinweis. Es hat nie eine Anzeige gegen den Vater gegeben.“
„Das heißt gar nichts“, schnaubte Levin.
„Das heißt immerhin soviel, dass er ein unbescholtener Bürger war. Und nur Mia kam als Täterin in Frage, Levin. So hat es das Gericht gesehen. Vielleicht müsste man mit den Therapeuten reden, vielleicht gab es später noch eine Aussage von ihr, aber darüber hat Hans Merker nichts herausgefunden. Jetzt
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