Schatz, schmeckts dir nicht
drauf rein und beschied sie nur mit einem völlig übertriebenen »Ausgezeichnet«.
Früher hatte sie tatsächlich versucht, eine ehrliche Antwort zu geben, wie es ihr momentan so ging. Bis sie bemerkte, dass diese Frau daran nicht das geringste Interesse hatte und bereits während ihrer ersten Worte den Blick über die anderen Anwesenden schweifen und ein gelangweiltes »Hm« ertönen ließ. Erst wenn ein Stichwort fiel, bei dem sie einhaken konnte, um von ihrem eigenen aufregenden Leben zu berichten – sie war ziemlich erfolglos als freischaffende Journalistin tätig, Spezialgebiet bildende Kunst – erwachte sie wieder zum Leben. Ja, sie war so geschickt, Fragen zu den Themen zu stellen, über die sie nach einer kurzen Anstandspause von ein paar Sekunden dann selbst referieren konnte. Doch als Stichwortgeber für diese Person war sich Helene mittlerweile zu schade. Der Effekt war natürlich, je rarer sie sich ihr gegenüber machte, desto mehr schien Viola nun doch interessiert. Aber man durfte diesem Eindruck nicht nachgeben. Kaum begann man ihr wirklich etwas zu erzählen, fing das alte Spiel von vorne an.
So beschränkte sich Helene darauf, ihr auch ein Glas vom Kardinal zu reichen und auf ihre Frage, nachdem sie gekostet hatte, was das denn für ein köstlicher Aperitif sei, nur zu antworten: »Weißwein, Arrak, Sekt, wenig Zucker – gut gekühlt. Kardinal. Norddeutsche Spezialität. Kanntest du das noch nicht?«
Und bevor Viola mit ihren fuchsiaroten Lippen eine Antwort formen konnte, wandte sich Helene zum nächsten Gast. Nicht ohne innere Befriedigung registrierte sie, wie der sorgfältig bemalte Mund den Bruchteil einer Sekunde offen stehen blieb und sich dann unverrichteter Dinge wieder schließen musste. Kleine, aber nette Revanche!
Inzwischen waren auch Dieter und Bertram eingetroffen. Sie überreichten Susanne einen dicken Strauß dunkelroter Rosen und einen aus Pappe und Goldpapier gefertigten, riesengroßen Schlüssel, an dem mit einer Schnur ein Umschlag mit der Aufschrift ›Glück‹ befestigt war. Die beiden Gratulanten drängten ungeduldig wie kleine Kinder, dass Susanne den Umschlag öffnen solle. Unter den Blicken der übrigen Gäste, die brennendes Interesse vorgaben, tat sie es denn auch und las neugierig die darin befindlichen Zeilen.
»Super! Das ist wirklich eine tolle Idee! Vielen, vielen Dank ihr beiden!« Susanne umarmte und küsste begeistert ihren Exmann und seinen Lebensgefährten, die ob dieses Erfolges um die Wette strahlten. »Ich kann doch sicher auch in ein Doppelzimmer umbuchen, oder?« Und mit Besitzerstolz hakte sie den neben ihr stehenden Ludwig unter, der das mit einem breiten Grinsen geschehen ließ. Verblüfft bejahten Dieter und Bertram Susannes Frage, und sie hatte es damit sekundenschnell geschafft, der ganzen Gesellschaft klarzumachen, was es mit dem attraktiven, jungen Mann an ihrer Seite auf sich hatte.
Der Umschlag enthielt einen Gutschein für ein Wochenende mit Yoga, Meditation und Massage in einem noblen Hotel auf dem Lande, das sich seit kurzem mit dem Titel ›Ganzheitliches Wellness-Zentrum‹ schmückte. Was immer ganzheitlich im Zusammenhang mit diesem Hotel zum Teufel auch bedeuten sollte, jedenfalls fiel Helene bei dem Stichwort ihr Mann ein, und sie sah auf die Uhr. Es war schon fast sieben, und nach kurzem Nachzählen stellte sie resigniert fest, dass die Gäste alle eingetroffen waren – bis auf Jan eben. Jedes Mal, wenn ein privater Termin sich direkt an einen Arbeitstag anschloss, konnte er sich einfach nicht von seinem Schreibtisch losreißen. Das würde wohl nie anders werden! Anders waren bloß die Umstände, die seit einigen Monaten sein Zuspätkommen so beunruhigend machten.
»Helene, sei gegrüßt! Ist dein lieber Gatte wie immer in seinem Büro hängen geblieben? Ach ja, wir Selbständigen – machen uns bisweilen zu unseren eigenen Sklaven!« Dieter und Bertram umarmten sie zur Begrüßung.
»Grüß dich Dieter, hallo Bertram! Ich bin ja Kummer gewöhnt! Aber zum Glück seid ihr jetzt da! Ihr bekommt noch einen kleinen Aperitif und dann werden wir mit dem Essen beginnen, egal, ob Jan eingetroffen ist oder nicht. Bei ihm weiß man doch nie, ob er noch vor dem Dessert die Kurve kriegt.«
»Sag mal, kannst du nähere Auskunft über den kräftigen, jungen Mann an der Seite meiner noch nicht von mir geschiedenen Frau geben?« Dieter war näher zu Helene getreten und hatte diskret seine Stimme gesenkt.
»Du wirst doch wohl nicht
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