Schatz, schmeckts dir nicht
intelligente Helfer. Geräuschlos glitten die Schubladen aus den mattsilbernen Metallschränken, und die verschiedenen Kochutensilien waren strategisch an den Orten verteilt, wo man sie brauchte. Helene liebte nicht unbedingt diese Hochglanz-Zeitgeist-Küche und war sich sicher, dass der raffinierte Backofen für ihre Freundin nach wie vor ein Buch mit sieben Siegeln war, doch sie musste zugeben, dass die Arbeit in diesem Ausstellungsstück wirklich eine Freude war. Zu verdanken war diese Ausstattung Susannes Exmann Dieter, der sehr gerne und nach Helenes Urteil recht ordentlich kochte. Doch seit beider Trennung wurde in diesem Raum hauptsächlich Frühstück und Tiefkühlkost zubereitet, wie Helene mutmaßte. Eigentlich eine Schande.
Allerdings nutzte Susanne ihre Küche ob der repräsentativen Einrichtung auch gerne, um dort Besucher zu empfangen. Deswegen war der von der Decke hängende Metallkorb auch immer prall mit frischem Gemüse gefüllt und die Schale auf dem Tisch mit einer nach allen Regeln der Ästhetik kombinierten Auswahl von Früchten. In einem Regal standen Gläser voller exotischer Pastamodelle und eine Sammlung von Olivenölspezialitäten und Essigraritäten. Mit dieser unerlässlichen Dekoration – es fehlte auch nicht das Töpfchen mit Basilikum – wurde dem unvoreingenommenen Besucher vorgegaukelt, der Ort würde auch seiner wahren Bestimmung dienen.
Alles ging Helene wunderbar leicht von der Hand, und als am späten Nachmittag die Frischverliebten wieder auftauchten, hatte sie die steilsten Klippen schon hinter sich und sie konnten zu dritt die Tafel richten. Ludwig entpuppte sich als begeisterter und geschickter Küchenhelfer, von einer Umsicht, die den meisten seiner Geschlechtsgenossen abging, sodass Helene ihm getrost noch einige letzte Handgriffe in der Küche überlassen konnte. So etwas kam sehr selten vor.
Außerdem hatte er genau die richtigen Fragen zu den ihm unbekannten Speisen aus dem hohen Norden gestellt, und nicht, wie sonstige phantasielose Flachesser nur das Gesicht verzogen und »Iih – Rosinen und Speck? Schmeckt denn das?« von sich gegeben. Damit hatte er Helenes Sympathie vollends gewonnen.
Ab achtzehn Uhr trafen die ersten Gäste ein, und nachdem sie ihre Geschenke und Wünsche abgeliefert hatten, stand man mit einem Glas Kardinal als Aperitif in Susannes Wintergarten. Es wurden die Floskeln ausgetauscht, die üblich sind unter Leuten, die nur durch ihre gemeinsame Beziehung zur Gastgeberin zu einer Gruppe werden. Einige von den Eingeladenen traf Helene gelegentlich in Susannes Galerie, und sie hatte inzwischen auch ihre diesbezüglichen Vorlieben und Abneigungen entwickelt. Mit Kommentaren über den Freundeskreis war sie vorsichtig geworden. Ihre Freundin war in diesem Punkt recht empfindlich und schien jegliche Kritik an den ihr freundschaftlich Verbundenen auf sich selbst zu beziehen.
Gerade zum Beispiel betrat Viola die Szene. Nach wie vor war Helene von diesem Namen fasziniert: Viola. Das klang irgendwie besonders, so kultiviert und ein bisschen exotisch. Wie überhaupt vielen Namen mit dem Buchstaben V dieser Zauber anhaftete: Vera, Viviane, Victoria – zumindest in Helenes Ohren. Doch bereits in der Schulzeit musste sie die Erfahrung machen, dass die Trägerinnen dieser klanglichen Kleinode zumeist ziemliche Zicken waren. Es stellte sich fast die Frage, ob die Wahl eines dieser V-Namen automatisch Zicken entstehen ließ, oder ob sie ausschließlich einem Milieu entstammten, dass sie so werden mussten? Und was war mit Vincenz, Victor und Valentin? Diese Frage würde Helene irgendwann auch noch klären müssen.
Viola jedenfalls trug wie immer kompromissloses Schwarz und ihren dramatisch dunklen Fuchsialippenstift in sorgsam, sommers wie winters kultivierter, vornehmer Blässe unter ihrem weißblond gefärbten Pagenschnitt. Auch das lederne Haarband fehlte nicht, das ihre hohe und zumeist ein wenig fettig glänzende Stirn freilegte. Helene musste zugeben, dass es ihr wirklich gelang, sich unverwechselbar zu stilisieren und sie ihre reichlich vorhandenen überflüssigen Pfunde ausgesprochen geschickt unter sehr edlen, ausgefallen geschnittenen Wallawallaklamotten zu verbergen wusste.
»Na?« Mit dieser ungeheuer fröhlich betonten Silbe, die so gar nicht zu ihrer exotisch-mondänen Erscheinung passte, begann Viola seit Jahren jedes Gespräch. Und dann folgte die scheinbare Frage: »Wie ist die Lage?«
Auch diesmal wieder. Doch Helene fiel nicht mehr
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