Schatz, schmeckts dir nicht
ständig im Blick hatten, begriffen alle sofort, dass man sich nun zu Tisch begeben wollte, und es entfiel das sonst übliche, wortreiche Nötigen, sich doch bitte endlich zum Essen zu bequemen. Susanne wies noch einige Plätze an, um eine möglichst kommunikative Tischordnung herzustellen, und wünschte dann allen ihren Gästen einen guten Appetit, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass das folgende Menu ein Geschenk ihrer Freundin Helene zu ihrem Geburtstag sei, über das sie sich ganz besonders freue.
»Und ich habe mich bei der Komposition dieser Speisenfolge von Susannes Heimat inspirieren lassen und eine kleine Auswahl norddeutscher Spezialitäten zusammengestellt.« Diese Erklärung musste sein, schließlich sollte man ihre Kreationen mit Sinn und Verstand genießen. »Wir beginnen mit einer Nordseekrabbensuppe mit Fischklößchen und frischen Kräutern unter Sahnehaube. Lasst es Euch schmecken!«
»Das ist richtig nett, was du dir immer einfallen lässt!« Die unsägliche Viola lächelte gönnerhaft zu Helene. Diese überhörte die geistreiche Bemerkung und begann wie die anderen, ihre Suppe zu löffeln, die ihr aufs Trefflichste gelungen war, wie sie befriedigt feststellte. Ein leises, lustvolles Stöhnen ging durch den Raum und bestätigte Helenes Eindruck. Auch Dagmar und Hedwig nickten ganz verzückt.
»Wahrlich ein Hochgenuss! Die cremige Konsistenz, das feine Aroma der Kräuter, und wie sich das zarte Nordseekrabbenfleisch mit dem kräftigen Geschmack dieser köstlichen Fischklößchen verbindet! Selbst an der Küste habe ich so ein vortreffliches Süppchen nie gekostet. My compliments to the cook!« Der Mann schien ein Kenner zu sein. So viel – scheinbar ehrlich gemeinte – Begeisterung hatte Helene in diesem Kreis nicht erwartet. Hier pflegte man sonst eher ein vornehmes Understatement, denn was gab es noch auf dieser Welt, was niveauvolle Menschen wie die versammelten, noch nicht erlebt, gesehen oder probiert hätten? Dafür zahlten sie mit der unendlichen Langeweile derer, die nichts Neues mehr zu erwarten haben, und ertrugen es mit stoischer Gelassenheit.
Der Gast, der ob seiner Lobeshymne verwunderte Blicke auf sich zog, war heute zum ersten Mal in diese Runde eingeladen. Susanne hatte Helene diesen Gerold, der von Beruf Cellist in einem bekannten Orchester war, als einen ganz lieben Menschen geschildert, der schon drei Ehescheidungen hinter sich hatte und den sie unter anderem eingeladen hatte, damit er ein paar nette, alleinstehende Frauen kennen lernte. Nett? Helene fragte sich, wen von den Anwesenden sie damit gemeint haben könnte.
Gerold war nicht viel größer als Helene, von kräftiger Statur, und sein Haupthaar war bereits so stark gelichtet, dass nur noch ein Kranz davon übrig war. Umso dichter wucherte der Vollbart, mit dem er sein breites, freundliches Gesicht tarnte. Mit Sicherheit sah er um einiges älter aus, als er war. Dazu trug sein formeller dunkler Anzug mit Fliege und Weste genauso bei wie sein antiquiert höflicher Ton den anderen Gästen gegenüber. Susanne hatte ihn außerdem als kenntnisreichen Gourmet und vorzüglichen Koch dargestellt.
Als Helene ihm ein dezentes Lächeln für seine Komplimente sandte, nickte er nochmals bestätigend mit dem Kopf, um die Ernsthaftigkeit seiner Worte zu unterstreichen. Natürlich freute sie sich über den gelungenen Auftakt. Sie erhob sich, um in der angrenzenden Küche den nächsten Gang vorzubereiten.
Ludwig kümmerte sich, wie abgesprochen, um die Getränke der Gäste. Da Norddeutschland ja nicht gerade eine Weingegend ist, andererseits nicht alle Leute Bier trinken, hatte Helene sowohl ein herbes Pilsener als auch einen Lübecker Rotspon eingekauft. Sie hatte geahnt, dass der Rotspon den meisten Anwesenden unbekannt sein würde. Insofern bekam ihre Getränkewahl sogleich den Hauch des Exklusiven und entzog sich denkbarer dogmatischer Kritik.
Die Bratkartoffeln mit Speck und Zwiebeln brutzelten in der schweren Eisenpfanne auf dem Herd und verbreiteten ihren deftig-herzhaften Geruch. Vom Esstisch her klapperte Besteck und klangen Gläser, Gesprächsfetzen und ab und zu Gelächter drangen herüber – an der Tafel herrschte eine erwartungsfrohe, angenehme Stimmung. Was konnte es Schöneres geben? Voller Elan gab Helene über den fein geschnittenen Endiviensalat die dunkle Specksirupsauce und mischte alles in einer großen, irdenen Schüssel gut zusammen.
»Wenn ich Ihnen meine Unterstützung anbieten darf? Es wäre mir
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