Schatz, schmeckts dir nicht
durchs Haus ziehen ließ, danach eine kleine Einführung in die Geschichte des Waidwerks, Grundbegriffe des Waidmannes und praktische Tipps für die am nächsten Morgen stattfindende Jagd. Nach derselben würde, im Anschluss an einen kleinen Imbiss, die Gräfin in der Schlossküche über das Reifen, Konservieren und Zubereiten des Wildbrets sprechen, und Interessierte könnten sich an der Herstellung des Festmahls für den Samstagabend beteiligen.
Das war der Punkt, den Helene mit Spannung erwartete. Im Morgentau durch den Wald zu streifen reizte sie eher weniger, aber Originalrezepte aus der Schlossküche, um damit am heimischen Herd zu beeindrucken, das war schon was.
Helene musterte verstohlen die versammelte Runde. Der Graf sah so aus wie man sich gemeinhin einen Landadligen vorstellte: Groß und kräftig, wahrscheinlich nicht viel über 30, das Haar aber schon etwas licht, dafür einen Schnauzbart und eine gesunde Gesichtsfarbe, gekleidet nach Gutsherrenart mit Tweedjackett, Reiterhose und Stiefeln. Die Truppe der Jagdeleven bestand aus einem Rentnerehepaar, beide von massiger Gestalt und jägergrün gewandet, einem auf jugendlich getrimmten Mittvierziger mit halb so alter Freundin – der Werbemensch Carlo und Barbie, wie sich später herausstellte – die sich beide mit einem dröhnend lachenden, schon etwas älteren Mann und dessen verkniffen blickender, ebenso alter Begleiterin unterhielten. Ein weiteres Paar im mittleren Alter, eher unauffällige Beamtentypen, ergänzten die Runde und schließlich noch drei einzelne männliche Wesen, von denen sich eines Helene mit den Worten »Guten Abend! Ich bin Ihr Ersatzmann« vorstellte.
»Bitte?« Helene zog tadelnd die Brauen hoch, diese Art Vorstellung gefiel ihr gar nicht.
»Sorry, ich meine nur, dass ich den freigewordenen Platz hier eingenommen habe, der durch den Rücktritt Ihres Gatten von dieser Reise entstanden ist. Und Sie wissen doch, 13 Personen an der Tafel, das bringt Unglück, siehe Dornröschen. Hans Schmidt ist mein Name.«
Helene nahm diese Erklärung als Entschuldigung an, und stellte sich ebenfalls kurz vor. Auf den zweiten Blick erschien ihr der Herr Schmidt ganz sympathisch, wie er etwas schlaksig in Cordhose und Jeanshemd ihr gegenüberstand. Trotz leicht angegrauten Stirnhaars und einer dicken Hornbrille hatte er etwas von dem berühmten großen Jungen, und außerdem verbreitete er im Augenblick glänzende Laune. Davon kann man nur profitieren, dachte sich Helene und war zufrieden, dass der Herr Schmidt den Ersatzmann geben wollte.
Unterdessen hatte der Graf nach der Gräfin rufen lassen, und auf der Schlosstreppe erschien eine kleine, füllige Person mit dunklem, naturkrausem Haar ums gerötete Gesicht. Über ihr schlichtes, dirndlartiges Kleid hatte sie eine bodenlange weiße Schürze gebunden, und wandte sich jetzt etwas atemlos an die Gäste:
»Ich freu mich, dass Sie zu uns gefunden haben, und hoffe, Sie fühlen sich hier wohl. Wenn Ihnen irgendetwas fehlt, lassen Sie es mich wissen. Meine Mitarbeiterinnen und ich haben für Sie ein Abendessen vorbereitet, kleine Beispiele aus der Jagdküche sozusagen. Ich hoffe, es schmeckt Ihnen allen recht gut. Ich beantworte Ihnen gerne beim Essen Fragen nach der Zubereitung und wer mag, kann sich morgen die Rezepte zum Selbstkochen bei mir holen. Alsdann, einen guten Appetit wünsch ich Ihnen! Darf ich zu Tisch bitten?«
Diese rollenden Rs und um die Zunge gewickelten Ls – die Frau Gräfin sprach, ganz im Gegensatz zu ihrem Mann, den erfrischenden Dialekt der Region in Reinkultur.
Die der Gräfin zur Hand gehenden Frauen sammelten auf Tabletts die Cocktailgläser ein, und man begab sich nach drinnen, wo die Tafel vor dem Kamin hergerichtet worden war. Es knisterten bereits dicke Eichenscheite im Feuer, das eine angenehme Wärme in die große Halle ausstrahlte. Auch die Bienenwachskerzen in den schmiedeeisernen Leuchtern waren jetzt entzündet. Die lange Tafel deckte ein Tischtuch mit original Blaudruckmuster, wie Helene sofort bemerkte, und das Geschirr war handgetöpfert. Dazwischen waren Arrangements aus blauen Trauben mitsamt Weinlaub, einigen Ähren, gelben Kürbissen, kleinen, roten Äpfeln und grünen Birnen angeordnet, passend zur herbstlichen Jahreszeit, anstelle von Blumen.
Sehr ordentlich, bewertete Helene auf ihrer nach unten offenen Skala Tischdekoration und Ambiente. Da hatte jemand mit Überlegung gewirkt und auch im Detail darauf geachtet, dass die äußere Form dem
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