Schatz, schmeckts dir nicht
Herrschaften«, war die Gräfin in ihrer erfrischenden Sprechweise zu vernehmen, »Wir kommen zum Hauptgericht. Es ist eine Art Auflauf. Hauptbestandteil ist gekochtes Wildfleisch, Sorten gemischt. Da fallen bei uns halt öfter Reste an«, sagte sie entschuldigend lächelnd.
»Kartoffeln, Zwiebeln und ein paar Gewürze sind dran, Sie werden’s schon rausschmecken. Einen guten Appetit weiterhin!«
Der schien vorhanden zu sein, denn im Nu war ein Großteil des Inhalts der Auflaufformen auf den Tellern verteilt und in Angriff genommen. Stille, nur unterbrochen vom Geklapper des Bestecks und verhaltenen Wohlgefälligkeitslauten, machte sich an der Tafel breit. Ein Essen zur Resteverwertung hatte in der adeligen Schlossküche eben andere Dimensionen als im gutbürgerlichen Milieu. Wem blieb schon in der Regel gekochtes Wildfleisch in diesen Mengen über?
Auch Helene war von der Kreation angetan: Grobe Kartoffelwürfel mischten sich mit Zwiebelscheiben, Waldpilzen und den besagten Wildfleischresten in einem würzigen Jus, der auch Rotwein und Sahne enthielt und mindestens mit Koriander, Lorbeer, Piment und einem Hauch Cayennepfeffer abgeschmeckt war. Gekrönt wurde das Ganze von einer hauchfeinen Kruste goldgelbbraun überbackenen Gruyères. Außerdem reichte man dazu noch einen bissfesten, trotzdem wunderbar zarten Kopfsalat, dessen Dressing aus Zitronensaft, Olivenöl, einer Prise Salz und reichlich gepresstem Knoblauch bestand.
Die Gläser wurden mit einem kräftigen Roten, ebenfalls heimischer Provenienz, gefüllt und Helene versuchte, die laut geführten Tiraden des Finanzexperten auf dem Platz neben ihr zu ignorieren, der gerade ausführte, dass Knoblauch die Geschmacksnerven abtöte und sein Siegeszug in der Küche der deutschen Hausfrau eine Niederlage des feinen Geschmacks zu verantworten habe.
»Früher waren die Knoblauch fressenden Südländer der letzte Abschaum, heute denkt jede Hausfrau aus Wanne-Eickel, sie kocht raffiniert, nur weil sie fünf Zehen Knoblauch an ihre Mehlsoße haut. Subtilität ist es, was dem kochenden Volke fehlt! Man kann eine Auflaufform auch zart mit einer Zehe Knoblauch benetzen, nur ein Hauch genügt doch schon!« Im Grunde hatte er ja nicht ganz unrecht. Aber an der großkotzigen Art, mit der ihr Nachbar und sein Freund – ein Softwarespezialist, wie Helene inzwischen mitbekommen hatte – ihr Wissen und ihre Kocherfahrung der Öffentlichkeit kundtaten, ob die es hören wollte oder nicht, machte Helene unschwer fest, dass es sich bei ihnen um die lästige Spezies männlicher Freizeitköche handelte.
Diese Herren entzogen sich den Niederungen alltäglicher Familienversorgung, sie kochten nicht, sie zelebrierten. Alle Zutaten waren nur vom Feinsten und dafür, dass es die eine, ganz spezielle Sorte Fleur de Sel sein musste, fuhren sie meilenweit. Sie hielten sich sklavisch an die von Kochpäpsten vorgegebenen Zubereitungsregeln und hatten natürlich ihren, ihnen persönlich bekannten, italienischen Weinhändler und vor allem: viel, viel Zeit. Abweichungen vom Rezept gab es nicht, und ökonomischer Geschirrverbrauch war ein Fremdwort. Die Küche sah nach ihrem Schöpfungsakt immer aus wie ein Saustall, und wenn nicht irgendwelche weiblichen Heinzelfrauen in der Nähe waren, blieb dieser Zustand auch so lange bestehen, bis die sensiblen Kochkünstler sich auch diesem Stress gewachsen sahen, oder aber das Geschirr wieder gebraucht wurde.
Kochende Männer dieser Couleur waren Helene grundsätzlich ein Gräuel. Sie konnte sich einiger unangenehmer Küchenerlebnisse mit solchen Bonsai-Bocuses erinnern. Ob Hans Schmidt auch so ein Küchenmacho war? Das zu überprüfen würde sie am nächsten Tag in der Schlossküche bestimmt Gelegenheit haben.
Jan hatte mit eigenen Kochversuchen nichts am Hut. Er hatte sich unter Helenes kundiger Anleitung zu einem echten Kenner von Küche und Keller entwickelt, was das Genießen anbetraf, und war auch zu kleinen Hilfeleistungen durchaus willig und zu gebrauchen. Helene empfand fast so etwas wie Stolz, zu einer nicht unerheblichen Verbesserung seiner Lebensqualität beigetragen zu haben. Sie allein hatte ihn bekehrt, Essen nicht ausschließlich als lustlose Nahrungsaufnahme zu betrachten. Als sie ihn kennen lernte, blickte sie in eine kulinarische Wüste. Es war bestimmt nicht übertrieben, zu behaupten, dass sie sich einen Großteil seiner Zuneigung auch erkocht hatte. Liebe ging eben schon immer durch den Magen. Und heute war Jan ihr
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