Schatz, schmeckts dir nicht
ihre eigenen Worte nachdenken. Sie empfand ihre Beziehung zu Jan wirklich als glücklich, oder zumindest als geglückt. Was Schule und Studium anbetraf, war sie eine Blitzstarterin: Mit 17 ein Superabitur, sodass ihre ganze Umgebung ihr glänzende Aussichten attestierte, und natürlich große Enttäuschung der Eltern, dass sie ausgerechnet so etwas wenig Glanzvolles wie Kunstgeschichte studieren wollte – nichts mit Ärztin oder Rechtsanwältin oder ähnlich reputierlichen Berufen. Und dann war sie gerade mal 20, als sie in Gestalt von Jan den Mann fürs Leben traf.
Er führte sein Leben in einer schlichten, manchmal sturen Geradlinigkeit damals. Der Traum des norddeutschen Bauernsohnes war das Studium der Architektur. Gegen den Willen seiner Eltern schaffte er es, ihn zu verwirklichen, wenn er auch schwer dafür schuften musste, da sein enttäuschter Vater ihm den Unterhalt gestrichen hatte. Er lebte und arbeitete also nur für sein Studium. Weil es billig und praktisch war, lebte er in einem winzigen Zimmer im Studentenwohnheim, aß brav das entsetzlichste Mensaessen oder ›kochte‹ aus Tüten und Dosen. Und dann war es ausgerechnet Helene, kunstbeflissen, eloquent und elegant, soweit sie sich das für studentische Verhältnisse leisten konnte, kulinarisch und überhaupt ziemlich anspruchsvoll, die ihn vom ersten Augenblick an faszinierte.
Ein gemeinsamer Freund hatte Jan aus seiner Wohnhöhle zu einem Semesterfest in die Mensa der TU geschleppt und dort traf er Helene. Sie fand, dass der große Blonde nicht gerade schön war, aber für ihre Kragenweite genau das richtige Maß. Allzu schöne Männer bedeuteten Stress. Ständig war die weibliche Konkurrenz fernzuhalten. Und außerdem waren sie ihrer selbst meist auf eine so unangenehme Art und Weise sicher, und konnten gar nicht anders als großartig sein, während Helene sich dann total unbedeutend und mausgrau fühlen musste. Dieser Blonde aus dem Norden jedoch verunsicherte sie kein bisschen. Was nicht zuletzt daran lag, dass er kaum etwas sagte. Dafür aber schaute er ihr offen ins Gesicht und lauschte ganz konzentriert ihrem Redefluss, was sie schon stark für ihn einnahm. Er wirkte so ehrlich, irgendwie auch einfach. Könnten solche strahlend blauen Sternaugen lügen?
Man oder frau würde sehen. Helene war sich durchaus bewusst, wo ihre Stärken und Schwächen lagen. Sie war keine verführerische Sirene, der die Männer automatisch zu Füßen lagen, dafür musste sie schon etwas tun. Zu ihrem eigenen Ärger wurde sie allzu oft auf die Rolle der Kameradin, mit der man Pferde stehlen konnte, festgelegt, sodass manche viel versprechende Begegnung mit der bekannten wunderbaren Freundschaft endete. Sie hatte aber bald bemerkt, dass Jan von ihrer Bildung, ihrem kulturellen Wissen, ihrer bereits in jungen Jahren erworbenen Weltläufigkeit genauso fasziniert war wie manche Männer von den langen Beinen oder dem süßen Lächeln einer Frau. Sie nutzte ihre Chance und brillierte mit ihrem Geistreichtum und Witz, sodass sie, angestachelt durch ihren Bewunderer, zu Hochform auflief und schließlich sogar einen gewissen Charme versprühte.
So eroberte sie ihren norddeutschen Bauernsohn, und er erschien ihr wie ein leichter, lockerer, wunderbar duftender Hefeteig, der erst durch das Kneten ihrer Hände, und erlesene von ihr ausgesuchte Zutaten, zu einem köstlichen Gebäck werden sollte. Welche Möglichkeiten!
Mit der Zufriedenheit deren, die sich einer Sache völlig sicher ist, lehnte Helene sich auf ihrem Stuhl zurück. Sie hatte damals den richtigen Instinkt bewiesen. Jan bot ihr die erwünschte Bodenständigkeit und Sicherheit als Basis ihrer Beziehung, und er ließ ihr freie Hand für die sonstige Lebensplanung, wenn er nur seinem geliebten Beruf mit aller Leidenschaft nachgehen konnte. Dafür hatte sie dann auch gerne auf die Kunsthistorikerkarriere verzichtet, wie immer die auch ausgesehen hätte. So hatte sie sich ihr Leben perfekt und ganz nach ihren Neigungen eingerichtet und hielt dabei unmerklich die Zügel in der Hand – locker, aber wachsam und bestimmt, alle Attacken geschickt abwehrend, die von außen ihr sorgsam aufgebautes Reich bedrohten.
»Darf ich bitte Ihren Teller haben?« Das Personal war dabei, das Geschirr vom ersten Gang abzuräumen und den folgenden aufzutragen, und riss damit Helene aus ihren Betrachtungen. Große, gusseiserne Reinen wurden auf die Tafel gestellt, aus denen heiße, würzige Dämpfe aufstiegen.
»So, meine
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