Schau Dich Nicht Um
sich benommen, ihr war übel, sie war sicher, daß sie jeden Augenblick das Bewußtsein verlieren würde.
Aber sie verlor das Bewußtsein nicht.
Sie starb nicht.
Sie würde sich nicht einmal übergeben, wie sie beinahe ungläubig erkannte, als sie staunend spürte, wie die Klammern um ihre Brust sich allmählich lockerten, die gewaltige Schlange das Interesse verlor und sich davonmachte. Wenige Minuten später kehrte das Gefühl in ihre Glieder zurück, und ihr Atem wurde wieder normal. Es war alles wieder in Ordnung. Sie war nicht gestorben. Es war ihr überhaupt nichts geschehen.
Sie hatte ihrer Panik nachgegeben, war mit ihrer Angst mitgegangen, und es war ihr nichts geschehen. Sie hatte sich nicht übergeben. Sie war nicht gelähmt. Sie war nicht tot.
Sie hatte gesiegt.
Mehrere Minuten lang saß Jess auf dem gestreiften Sofa ohne sich zu rühren und kostete ihren Sieg aus. »Es ist vorbei«, flüsterte sie. Sie war plötzlich voller Zuversicht und glücklichem Überschwang und konnte kaum der Versuchung widerstehen, Don zu wecken und ihm alles zu erzählen.
Nur wußte sie, daß es gar nicht Don war, mit dem sie jetzt sprechen wollte.
Sie stand auf und suchte unter der Decke vorsichtig nach ihren Socken. Als sie sie gefunden hatte, zog sie sie über und schlüpfte dann schnell in ihre Jeans. Sie ging zum Fenster und blickte durch die Finsternis zur Landzunge hinaus.
»Jess?« Dons Stimme klang verschlafen.
»Es hat aufgehört zu schneien«, sagte sie.
»Du bist angezogen.« Er richtete sich auf und stützte sich auf einen Ellbogen. Dann griff er über den Teppich zu seiner Uhr.
»Mir war kalt.«
»Ich hätte dich gewärmt.«
»Ich weiß.« Ein melancholischer Ton schlich sich in ihre Stimme. »Don...«
»Du brauchst nichts zu sagen, Jess.« Er schob die Uhr über sein Handgelenk, drückte den Verschluß zu, massierte sich den Nacken. »Ich weiß, daß du mir nicht die gleichen Gefühle entgegenbringst wie ich dir.« Er versuchte zu lächeln und schaffte es beinahe. »Wenn du willst, können wir einfach so tun, als wäre der vergangene Abend nicht gewesen.«
»Ich wollte dir nicht wieder weh tun.«
»Du hast mir nicht weh getan. Jess, ich bin ein erwachsener Mensch. Ich kann mit dem umgehen, was passiert ist.« Er schwieg einen Moment und sah auf die Uhr. »Es ist erst vier. Willst du nicht versuchen, noch ein paar Stunden zu schlafen?«
»Ich könnte jetzt nicht schlafen.«
Er nickte. »Soll ich dir eine Tasse Kaffee machen?«
»Wie wär’s, wenn ich dir zu Hause in meiner Wohnung eine mache?«
»Heißt das, daß du jetzt fahren möchtest?«
»Fändest du das schlimm?«
»Würde das eine Rolle spielen?«
Jess kniete auf dem Teppich neben ihm nieder und streichelte sachte seine Wange, auf der die ersten Bartstoppeln zu spüren waren. »Ich liebe dich doch«, sagte sie.
»Das weiß ich«, erwiderte er und legte seine Hand auf die ihre. »Ich warte nur darauf, daß du es merkst.«
Es war fast sieben Uhr, als sie schließlich die Stadt erreichten. Die Rückfahrt war anstrengend und gefährlich. Ein paarmal geriet der Wagen auf einem vereisten Stück Straße ins Rutschen und wäre beinah in einem Graben gelandet. Aber Don hatte keinen Moment den Kopf verloren. Er hatte nur das Lenkrad fester umfaßt und war entschlossen weitergefahren, obwohl es Jess zeitweise vorkam, als wäre sie zu Fuß schneller nach Chicago zurückgekommen.
In ihrer Wohnung ging sie sofort ans Telefon.
»Habt ihr was gefunden?« fragte sie Neil, anstatt ihm guten Morgen zu sagen.
»Jess, es ist sieben Uhr morgens«, erinnerte er sie. »Diese Clubs machen nicht vor zehn auf.«
Jess legte den Hörer auf und beobachtete Don, der die Überreste des Frühstücks aufräumte, das Adam ihr gestern gemacht hatte. War das wirklich erst gestern gewesen? Jess hatte das Gefühl, es wäre ewig her.
»Laß das doch«, sagte sie und nahm Don einen Teller, den er gerade spülte, aus der Hand. Sie stellte ihn auf die Anrichte.
»Ich muß es aber machen. Du hast nicht einen einzigen sauberen Teller im Haus.« Er nahm den Teller von der Anrichte und hielt ihn unter das fließende Wasser.
»Kaffee ist noch da«, sagte Jess und schüttelte die Kaffeekanne. »Ich stell einfach zwei Tassen in die Mikrowelle.«
Don nahm Jess die Kanne aus der Hand und goß den schmutzigbraunen Kaffee ins Spülbecken. »Du und deine Mikrowelle«, sagte er. »Verschwinde hier. Ich mach den Kaffee, und du kannst inzwischen duschen.«
Jess ging ins
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