Schau Dich Nicht Um
einfach gemütlich. Ein Haus, in das man gern zurückkam. Sie liebten es, hatten vor, dort für immer zu bleiben. Bis ihre Mutter eines Nachmittags im August zu einem Arzttermin aus dem Haus ging und niemals zurückkehrte.
Danach gingen sie alle getrennte Wege - Maureen kehrte nach Harvard zurück, Jess beendete ihr Jurastudium und heiratete Don, ihr Vater unternahm ausgedehnte Geschäftsreisen nach Europa.
Das einst geliebte Haus stand leer. Schließlich fand ihr Vater die Kraft zu dem Entschluß, es zu verkaufen. Er hielt es nicht mehr aus, allein in diesem Haus zu leben.
Und jetzt hatte ihr Vater eine neue Frau gefunden. Eigentlich, dachte Jess, die abbog und schon wieder in der Sheridan Road landete, war das doch gar nicht so überraschend. Das Überraschende war vielmehr, daß er acht lange Jahre gewartet hatte. Frauen hatten ihn immer attraktiv gefunden. Gewiß, er war kein Adonis, und viel Haar hatte er auch nicht mehr, aber seine braunen Augen besaßen immer noch einen humorvollen Schimmer, und seiner Stimme hörte man an, daß er gern lachte.
Lange Zeit war alles Gelächter verstummt geblieben.
Tage-, ja monatelang hatte Art Koster nach dem Verschwinden seiner Frau den Ermittlern als Hauptverdächtiger, als einziger Verdächtiger gegolten. Obwohl er zur Zeit ihres Verschwindens auf Geschäftsreise gewesen war, hielt die Polizei beharrlich an ihrer Theorie fest, er könnte bei der Sache die Hand im Spiel gehabt haben. Er könnte ja jemanden angeheuert haben, hielt man ihm vor und beschäftigte sich nun gründlich mit der Ehe des Paares, verhörte Freunde und Nachbarn, zog Erkundigungen über Art Kosters Geschäfte und finanzielle Angelegenheiten ein.
Wie hatte das Ehepaar miteinander gelebt? Hatte es Streit gegeben? Wie oft? Wegen des Geldes? Wieviel Zeit hatte Art Koster außer Haus verbracht? Hatte es andere Frauen gegeben?
Natürlich habe es Streit gegeben, erklärte Art Koster. Nicht häufig, aber möglicherweise häufiger, als ihm bewußt war. Wegen Kleinigkeiten. Nicht wegen des Geldes. Nicht wegen seiner gelegentlichen Geschäftsreisen. Und ganz gewiß nicht wegen anderer Frauen. Andere Frauen habe es nie gegeben, erklärte er der Polizei. Er bestand darauf, sich einem Lügendetektortest zu unterziehen. Bestand ihn. Die Polizei schien enttäuscht zu sein. Schließlich war ihnen nichts anderes übriggeblieben, als ihm zu glauben.
Für Jess hatte es nie einen Zweifel gegeben. Ihr Vater war unschuldig. So einfach war das. Ganz gleich, was ihrer Mutter zugestoßen war, ihr Vater hatte damit nichts zu tun.
Art Koster hatte Jahre gebraucht, um wieder in den Rhythmus seines täglichen Lebens hineinzufinden. Eine Zeitlang stürzte er sich in die Arbeit. Er entfernte sich immer weiter von alten Freunden, bis keine Verbindung mehr bestand. Er ging selten unter Menschen, interessierte sich nicht für Frauen. Er zog in eine Wohnung am Wasser und brachte Stunden damit zu, auf den See hinauszustarren. Nur Jess und Don und Maureen sah er regelmäßig. Einer redete dem anderen gut zu. Na komm schon, es tut dir bestimmt gut. Du mußt nur raus. Wir wollen dich sehen.
Erst Maureens Heirat und Jess’ Scheidung hatten Art Koster wahrscheinlich aus seiner Lethargie gerissen und veranlaßt, sein normales Leben wiederaufzunehmen. Die Nachricht von Jess’ Trennung von Don hatte ihn genauso außer Fassung gebracht wie damals ihre Verlobung. Es war nicht etwa so, daß er Don nicht mochte. Im Gegenteil, er mochte ihn sehr. Er hatte nur gewünscht, Jess würde noch ein wenig warten. Sie war noch so jung. Sie fing gerade erst mit dem Studium an. Don war elf Jahre älter als sie, schon so etabliert. Jess brauchte Zeit für sich selbst, fand er und sagte das seiner Tochter auch, die Auffassung seiner Frau bestätigend, wie er das meistens tat.
Dennoch gestand er später, er sei froh gewesen, daß sie nach dem Verschwinden ihrer Mutter eine Stütze gehabt habe. Das habe ihn selbst etwas entlastet. Und Don hatte gut für Jess gesorgt. Art Koster war ehrlich bekümmert gewesen, als die Ehe in die Brüche gegangen war. Aber er hatte seine Tochter unterstützt. Wie immer. Er war für Jess da, als sie ihn brauchte, war wieder in die Vaterrolle hineingeschlüpft, hatte sich um sie gekümmert, sie ausgeführt, zum Essen, ins Theater, in die Oper. Hatte dafür gesorgt, daß sie sich nicht verkroch, in ihrer Arbeit vergrub, wie er das getan hatte.
Dann hatte Maureen ihr erstes Kind geboren, sein erstes Enkelkind, und
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