Schau Dich Nicht Um
daß spätestens am Freitag die Geschworenen dran sind.«
»Ich hab gehört, man hat dir ein Angebot gemacht.«
»Totschlag, zehn Jahre Gefängnis? Möglicherweise nach vier Jahren Bewährung? Ein tolles Angebot!«
»Du glaubst im Ernst, daß die Geschworenen anders entscheiden werden?«
»Man wird doch wohl noch träumen dürfen«, sagte Jess.
Greg Olivers Grinsen wurde zu einem echten Lächeln. »Komm, ich fahr dich nach Hause.«
»Nein, danke.«
»Mach dich nicht lächerlich, Jess. Dein Wagen hat es hinter sich; ein Taxi findest du hier nie; wenn du jetzt anrufst, mußt du mindestens noch eine Stunde warten. Und ich biete dir an, dich zu fahren, wohin du willst: Las Vegas, Miami Beach, Graceland.«
Jess zögerte. Sie wußte, daß er recht hatt-es würde ewig dauern, bis sie um diese Zeit ein Taxi bekam. Und nach ihrem letzten Ausflug hatte sie sich geschworen, die Hochbahn nicht mehr zu nehmen. Sie konnte Don anrufen, obwohl sie von ihm nichts mehr gehört hatte, seit sie sein Angebot abgelehnt hatte, Thanksgiving mit ihm und Mutter Teresa zu verbringen. Nein, Don konnte sie nicht
anrufen. Es wäre nicht in Ordnung. Er war ihr geschiedener Mann, nicht ihr Chauffeur.
»Na schön«, stimmte sie zu. »Aber direkt nach Hause.«
»Ganz wie du willst. Ihr Wunsch ist mir Befehl, Madame.«
Greg Oliver hielt seinen schwarzen Porsche vor Jess’ Haus an. Er schaltete den Motor aus. Die laute Rockmusik, die ihre Fahrt begleitet und zum Glück ein Gespräch fast unmöglich gemacht hatte, brach abrupt ab.
»Hier wohnst du also.«
»Ja, hier wohne ich.« Jess legte die Hand auf den Türgriff, bestrebt, dem aufdringlichen Geruch seines Toilettenwassers zu entkommen. »Vielen Dank, Greg. Das war wirklich nett von dir.«
»Willst du mich denn nicht hereinbitten?«
»Nein«, antwortete Jess unverblümt.
»Aber, Jess! Du willst mir nicht mal eine Stärkung für die lange Fahrt nach Hause anbieten?«
»Greg, ich bin müde. Ich hab Halsschmerzen. Und ich hab eine Verabredung«, fügte sie hinzu. Die Lüge schmeckte bitter.
»Es ist gerade mal halb sieben; nimm zwei Aspirin; und du hast seit fünfzig Jahren keine Verabredung mehr gehabt. Ich komm jetzt mit rauf.«
Im nächsten Augenblick war er aus dem Wagen gesprungen.
Jess warf ärgerlich den Kopf zurück. Was hatte sie anderes erwartet? Sie öffnete die Wagentür, schwang beide Beine gleichzeitig zum Bürgersteig hinaus und stemmte sich mit den Händen aus dem tiefen Sitz in die Höhe.
»Das hast du sehr gut gemacht«, bemerkte Greg. »Viele Frauen haben keine Ahnung, wie sie aus diesen Autos richtig aussteigen müssen. Sie strecken die Beine nacheinander hinaus.« Er lachte. »Das ist natürlich für die, die auf dem Bürgersteig stehen, viel amüsanter.«
»Greg«, sagte Jess, während sie rasch vor ihm her zur Haustür ging. »Ich möchte nicht, daß du mit hinaufkommst.«
»Das kann doch nicht dein Ernst sein«, entgegnete er, nicht bereit, sich abwimmeln zu lassen. »Lieber Gott, Jess, ich möchte doch nur einen kleinen Drink. Wovor hast du solche Angst? Was glaubst du denn, daß ich tun werde?«
Vor der Haustür blieb Jess stehen und kramte in ihrer Handtasche nach dem Schlüssel. Warum hatte sie nicht daran gedacht, ihn vorher herauszuholen?
»Du hast Angst, ich trete dir zu nahe? Ist es das?«
»Ist es das nicht?«
»Mensch, Jess, ich bin glücklich verheiratet. Meine Frau hat mir gerade einen Porsche gekauft. Weshalb sollte ich einer Frau Anträge machen, die mich ganz offensichtlich haßt wie die Pest?«
»Vielleicht, weil sie gerade zur Stelle ist?« Jess fand ihren Schlüssel und sperrte die Tür auf.
»Du bist eine ulkige Person«, sagte er, stieß die Tür auf und trat ins Foyer. »Das gefällt mir, sonst würde ich mich von dir nicht so behandeln lassen. Komm, Jess. Wir sind doch Kollegen, und ich würde gern glauben, daß wir Freunde werden können. Was ist daran so schlimm?« Er bückte sich plötzlich, um einige Briefe aufzuheben, die auf dem Boden unter dem Briefkastenschlitz lagen. »Deine Post.« Er gab ihr die Briefe in die ausgestreckte Hand.
»Also gut, auf einen Drink«, sagte Jess, der Diskussion müde.
Wie ein folgsamer Hund trabte er hinter ihr her die drei Treppen hinauf.
»Das hätte ich mir ja denken können, daß du in der obersten Etage wohnst«, sagte er, als sie oben waren.
Sie sperrte ihre Wohnungstür auf. Greg Oliver war beinahe noch vor ihr in der Wohnung.
»Du läßt den ganzen Tag das Radio laufen?«
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