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Schau Dich Nicht Um

Titel: Schau Dich Nicht Um Kostenlos Bücher Online Lesen
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fragte er, während er mit aufmerksamem Blick ihr Wohnzimmer musterte.

    »Für den Vogel.« Jess warf ihre Handtasche und die Post auf das Sofa und überlegte, ob sie Mantel und Stiefel überhaupt ausziehen sollte. Sie befand sich hier zwar in ihrem Zuhause, aber sie wollte nichts tun, was Greg Oliver ermutigen konnte, seinen Besuch auszudehnen.
    Greg Oliver näherte sich vorsichtig dem Vogelkäfig und spähte zwischen den Stangen hindurch. »Männchen oder Weibchen?«
    »Männchen.«
    »Woher weißt du das? Hast du ihm unter die Federn geguckt?«
    Jess ging in die Küche, fand hinten im Kühlschrank ein paar Flaschen Bier, machte eine auf und nahm sie mit ins Wohnzimmer. Greg Oliver hatte es sich bereits auf ihrem Sofa bequem gemacht. Seinen Mantel hatte er auf den Eßtisch geworfen, seinen Schlips gelockert und die Schuhe ausgezogen.
    »Es ist besser, du machst es dir gar nicht erst bequem«, warnte Jess und reichte ihm das Bier.
    »Sei doch nicht so garstig«, konterte er und klopfte auf den Platz neben sich. »Komm, setz dich zu mir.«
    Jess hängte ihren Mantel in den Garderobenschrank, aber ihre Stiefel ließ sie an. Eine reizende Situation, sagte sie sich. Sie hatte einem Mann, den sie kaum ausstehen konnte, erlaubt, sie nach Hause zu fahren; einem Mann, der offensichtlich versuchte, sie anzumachen. Und dieser Mann saß jetzt in ihrem Wohnzimmer auf ihrem Sofa und trank das Bier, das sie selbst ihm gebracht hatte. Ich bin doch sonst nicht so doof, dachte sie und hätte beinahe verächtlich gelacht. Wie hatte sie es nur geschafft, sich in diese Situation hineinzumanövrieren?
    »Hör mal, Greg«, sagte sie zu ihm, als sie zum Sofa zurückkehrte. »Nur um eines klarzustellen: Ich will keine Szene machen; ich möchte nicht, daß wir womöglich in Zukunft nicht mehr in derselben Abteilung zusammenarbeiten können; ich möchte nicht dein Leben - oder meins - noch komplizierter machen, als es bereits ist.«
    »Kommt der springende Punkt noch?« fragte er und nahm einen tiefen Schluck Bier direkt aus der Flasche.
    Sie hatte vergessen, ihm ein Glas zu geben. »Der springende Punkt ist, daß ich die Situation ziemlich ungemütlich finde.«
    »Ja, wenn du dich setzen würdest, wäre es viel gemütlicher.« Wieder klopfte er auf den Platz neben sich. Ihre Briefe, die sie dort abgelegt hatte, hüpften auf und nieder.
    »Ich habe nicht die Absicht, mit dir zu schlafen«, sagte Jess, die es für das beste hielt, den Stier bei den Hörnern zu packen.
    »Wer hat was davon gesagt, daß du mit mir schlafen sollst?« Greg Oliver schaffte es, erstaunt und beleidigt zugleich auszusehen.
    »Nur damit wir uns verstehen.«
    »Das tun wir doch«, versicherte er, obwohl sein Blick etwas anderes sagte.
    Jess setzte sich auf die Armlehne des Sofas. »Gut, ich hab nämlich wirklich keine Lust darauf, vergewaltigt zu werden. Ich kenne das System, ich weiß, daß du wahrscheinlich ungeschoren davonkämst, selbst wenn es mir nicht zu peinlich wäre, dich anzuzeigen. Und deshalb sag ich dir gleich, daß ich im Nachttisch neben meinem Bett einen geladenen Revolver habe. Wenn du es wagen solltest, mich anzurühren, schieß ich dir ein Loch in den Kopf.« Sie lächelte ihn zuckersüß an, während ihm die Kinnlade fast bis zu den Knien fiel. »Ich wollte das nur klarstellen.«
    Greg Oliver saß da wie vom Donner gerührt. »Das kann doch nur ein Witz sein.«
    »Nein, das ist kein Witz. Möchtest du den Revolver sehen?«
    »Mein Gott, Jess, kein Wunder, daß du seit fünfzig Jahren keine Verabredung mehr gehabt hast.«
    »Trink aus und fahr nach Hause, Greg. Deine Frau wartet.«
    Sie stand auf und ging zur Tür.
    »Warum, zum Teufel, hast du mich überhaupt eingeladen mitzukommen?« fragte er in einem Ton selbstgerechter Entrüstung.

    Jess konnte nur die Achseln zucken. Wieso war sie überrascht? »Für dieses Spielchen bin ich zu alt«, sagte sie nur.
    »Verklemmt bist du«, sagte Greg und griff nach seinem Mantel. »Verklemmt und prüde.« Er schob seine Füße in seine Gucci-Slipper und warf ihr die Bierflasche zu. Jess fing sie automatisch auf, kaltes Bier spritzte auf ihre weiße Bluse. »Danke für die Gastfreundschaft«, sagte er, schon an der Tür, und knallte sie hinter sich zu.
    »Ein reizender Abend«, sagte Jess zu ihrem Kanarienvogel, der von Stange zu Stange hüpfte. Sie rieb sich die Stirn und fragte sich, an welcher Stelle genau sie die Kontrolle über ihr Leben verloren hatte. Ausgerechnet sie, die mit peinlicher

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