Schau mir ins Herz
zu sehen, als sie begann, sich den Handschuh von den Fingern zu ziehen. Sie hatte dieses Detail mit Tony zusammen geübt, bis sie es im Schlaf konnte, doch während sie den Handschuh nun abstreifte, spürte sie etwas Flaches, Eckiges darin. Wahrscheinlich ein Etikett, das sich gelöst hat, dachte sie und war überrascht, als ihr stattdessen ein kleines Stück Papier in die rechte Hand fiel. Es war mit gut leserlichen Großbuchstaben beschrieben.
DER PRIESTER IST ECHT, las sie. DIE HEIRAT IST GÜLTIG.
Ein Scherz, dachte sie im ersten Moment. Ein ziemlich geschmackloser obendrein. Sie knüllte den Zettel zusammen und ließ ihn zu Boden fallen. Aber wer in aller Welt würde so etwas tun? Der Priester-Darsteller? Varelle? Elaine? Ausgeschlossen.
Wenn sie nur Latein verstünde! Dann wüsste sie, ob die Formel, die sie zu Mann und Frau erklärte, schon gesprochen worden war. Nein, fiel ihr ein, die kam erst, wenn der Bräutigam den Ring aufgesteckt hatte und das Brautpaar sich die Hände reichte. Das soll der Mensch nicht scheiden, war der Satz, an den sie sich plötzlich erinnerte.
Und wenn es kein Scherz war, sondern eine Warnung? Angenommen, der Priester war tatsächlich geweiht – er hätte niemals zugestimmt, eine Trauungszeremonie nur zum Schein vorzunehmen … Carol zuckte zusammen, als Nicolas ihre Hand ergriff, um ihr den Ring überzustreifen. Sie dachte fieberhaft nach. Wenn der Priester sie nicht zum Schein traute, dann konnte das nur heißen, dass er sie in aller Ernsthaftigkeit verheiratete, und zwar, weil jemand ihm entsprechende Anweisungen gegeben hatte. Aber wer?
Nicolas’ Griff wurde fester, und sie versuchte, ihm ihre Hand zu entziehen, während ihre Gedanken sich überschlugen. Varelle hatte den Mann nicht angeheuert, das wusste sie von Kate. Wer dann? Es konnte nur Nicolas gewesen sein. Er musste das alles geplant haben.
Aber aus welchen Beweggründen? Tony hatte sie vor ihm gewarnt. Elaine ebenfalls.
Konnte er auch den Unfall geplant haben? In Carols Kopf drehte sich alles. Es war eine Sache, davon zu träumen, Nicolas’ Frau zu sein. In Wirklichkeit mit ihm verheiratet zu sein – ohne dass sie zugestimmt hatte, aus Gründen, die sie nicht kannte, und mithilfe einer List, die mehr Verlogenheit erkennen ließ als Liebe – das war etwas gänzlich anderes. Wenn sie nur mehr Zeit hätte nachzudenken!
„… in nomine Patris“, sagte der Priester und hob seine Hände zum Segen. Nicolas hielt den Ring zwischen Daumen und Zeigefinger – Carol sah, wie das Gold schimmerte – und nahm ihre Hand so fest in seine, dass sie sie ihm nicht entziehen konnte.
Für einen winzigen Moment stand sie da wie erstarrt vor Angst und Verwirrung und wusste nicht, was sie tun sollte, konnte, würde … Dann begann Nicolas, ihr den Goldreif auf den Finger zu schieben, und sie versuchte, sich von ihm loszureißen, schlug nach ihm und schrie gellend „Nein!“
„Vor Gott!“ Nicolas’ Ton, so unbeugsam wie sein Wille, ging ihr durch und durch. Sein Griff war wie ein Schraubstock, als er ihr den Ring überstreifte. Der Priester hielt inne, und Carol legte ihre gesamte Kraft in einen letzten Versuch, Nicolas’ Hand abzuschütteln und ihm zu entkommen.
Mit einem Ruck riss er sie zu sich herum, sodass sie ihn ansehen musste. Er hielt ihre beiden Handgelenke so fest, dass sie sich kaum bewegen konnte. Der Priester fuhr mit seinem Singsang fort, und für einen kurzen, schrecklichen Moment fühlte Carol, dass seine Hände ihre und Nicolas’ berührten, und hörte, wie er sie zu Mann und Frau erklärte. Unwiderruflich und für immer.
Dann ließ Nicolas sie los. Carol sah auf ihre linke Hand, auf den Goldreif an ihrem Ringfinger. Die Worte des Priesters hallten in ihren Ohren, als kämen sie von ganz weit her. Eine diffuse Schwärze legte sich um sie, und Carol hatte das Gefühl, in einen endlosen Abgrund zu fallen …
5. KAPITEL
Als Carol wieder zu sich kam, lag sie auf dem Boden. Jemand musste ihr den Schleier zurückgeschlagen haben, denn sie konnte Nicolas deutlich erkennen. Er kniete neben ihr und betrachtete sie – aber ob das, was sich dabei auf seinem Gesicht widerspiegelte, Wachsamkeit war oder Besorgnis, hätte sie nicht sagen können.
Wie aus weiter Ferne drang Varelles Stimme an ihr Ohr. „Kameras aus! Carol, das war großartig. Besser, als ich je zu hoffen gewagt hätte. Absolut realistisches Entsetzen – und dann die Ohnmacht –, das haben Sie wunderbar hingekriegt. Wir sind fertig, Leute. Ihr
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