Schau mir ins Herz
durch den steinernen Torbogen. „Jedenfalls so lange, bis ich entschieden habe, wie unsere Angelegenheiten am besten zu handhaben sind.“
Der Fußboden im Innern des dunklen, einschüchternden Gemäuers bestand aus gestampfter Erde, die mit den Jahren steinhart geworden war. Nicolas dirigierte sie auf die Treppe zu, die zum oberen Geschoss führte.
Er drückte auf einen Schalter, und eine Lampe ging an. Sie beleuchtete die ausgetretenen Stufen.
„Leicht zu verteidigen.“ Nicolas’ Ton war zwanglos, wie in einer unverbindlichen Unterhaltung. Als wäre er ein zuvorkommender Gastgeber, dachte Carol. Und nicht ein … ja, was eigentlich? Ein Entführer? Ein Gefängniswärter? Obwohl ihre Beine vor Müdigkeit zitterten, riss sie sich zusammen und erklomm die Stufen. Vor einer dunklen Holztür mit einer schweren alten Eisenklinke hielt Nicolas an.
„Das Schließsystem ist ziemlich modern“, informierte er sie, als er ihren Blick gewahrte. „Das mag dich enttäuschen, ist aber umso effektiver.“ Mit der freien Hand drehte er den Schlüssel im Schloss und schob die Tür auf. Sie öffnete sich leicht und geräuschlos.
„Geh hinein“, befahl er, und Carol gehorchte. Sie trat über die Schwelle und fand sich abrupt vom sechzehnten ins zwanzigste Jahrhundert versetzt – flauschige Teppiche, die einen glänzenden Holzboden bedeckten, ein Tisch mit heller Marmorplatte, auf dem eine Lampe mit einem ballonförmigen Glasschirm stand. Sie bemerkte noch, dass die Läden vor den Fenstern geschlossen waren und dass zwei weitere Türen von dem Raum abgingen, dann hörte sie, wie der Schlüssel erneut gedreht wurde, und fuhr herum. Nicolas hatte sie eingesperrt!
In ohnmächtiger Wut schlug Carol mit den Fäusten gegen die Tür, doch das Holz war massiv und hart wie Stahl. Sie rannte zum Fenster, riss einen der Läden auf und lehnte sich hinaus. Bei dem Anblick, der sich ihr bot, setzte ihr Herz einen Schlag aus. Weit unter ihr, am Fuß einer senkrechten Steilwand, donnerte die Brandung gegen die Felsküste.
Sie lief zur anderen Seite des Raums. Die breite Nische in der dicken Wand verjüngte sich am äußeren Ende zu einer der Schießscharten, die sie von unten erkannt hatte. Carol erreichte sie gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie die Rücklichter von Nicolas’ Auto in der Dunkelheit verschwanden.
Ohne viel Hoffnung begann, sie nach einem Schlüssel zu suchen. Dabei entdeckte sie, dass ihr Gefängnis aus vier weiteren Räumen bestand – einem Schlafzimmer mit angrenzendem Bad, einer gut eingerichteten Einbauküche, die fast unbenutzt wirkte, und einer zusätzlichen, äußerst einfach möblierten Schlafkammer dahinter.
Carol ging zurück in den Wohnraum. Gewiss, sie befand sich nicht in einer kargen Zelle, sondern eher in einer Art Luxusapartment, und sicherlich existierte ein Zweitschlüssel, aber Nicolas war nicht der Typ Mann, der den Fehler machte, ihn hier liegen zu lassen.
Sie sank in einen der cremefarbenen Sessel und versuchte, sich Mut zu machen. Nicht mehr lange, und die Filmcrew würde sie vermissen. Kate fragte sich bestimmt jetzt schon, wo sie abgeblieben war und warum sie nicht kam, um zu packen. Andererseits hatte Nicolas ihr erklärt, dass er sich um sie, Carol, kümmern würde, und das konnte bedeuten, dass Kate erst morgen begann, sich Sorgen zu machen. Zumal heute Abend die Abschiedsparty stattfand und sie vermutlich davon ausging, dass Carol sich nicht wohl genug fühlte, um daran teilzunehmen.
Nein, sagte sie sich niedergeschlagen. Vor morgen wird niemand nach mir suchen. Dann fiel ihr ein, dass sie ihre Gage nicht abgeholt hatte, und ihre Hoffnung wuchs. Kate war das sicher aufgefallen; sie wusste über jede Kleinigkeit Bescheid, die mit dem Film zusammenhing. Ihr würde klar sein, dass etwas nicht stimmte, wenn sie merkte, dass Carol sich das Geld noch nicht hatte ausbezahlen lassen, und Nicolas nach ihr fragen. Und auch wenn er ein gewissenloser Lügner war, würde er keinen glaubhaften Grund für ihr Verschwinden nennen können. Kate würde einen Aufstand machen. Varelle würde die Beherrschung verlieren. Nicolas würde sie gehen lassen müssen. Er konnte sie nicht ernsthaft hier festhalten wollen, gegen ihren Willen, eingesperrt wie eine Gefangene. Undenkbar.
Erschöpft ließ Carol ihren Kopf gegen die Lehne sinken und schloss die Augen.
Carol erwachte von gedämpften Geräuschen aus der Küche – ein Kochtopf, der auf die Herdplatte gestellt wurde, dann sachtes Klirren von Besteck
Weitere Kostenlose Bücher