Schauen sie sich mal diese Sauerei an
vertröstete ich ihn. Schließlich hatte ich keine Lust, dass Georg unsere Urinflasche benutzte. Erstens müsste ich die Flasche dann saubermachen, und zweitens traute ich Georg nur die Zielsicherheit einer abgesägten Schrotflinte zu. Im Krankenhaus angekommen, empfing uns die gleiche Krankenschwester wie zuvor. Nach kurzer inhaltlicher und fachlicher Übergabe war sie im Bilde. Georg setzte an und sprach extra langsam, um nicht zu lallen: »Können Sie mir ... Ich muss ...« Weiter kam er nicht. Die Krankenschwester mit dem schönen Namen Silke unterbrach ihn barsch: »Für Schläger hab ich erst später Zeit! Setzen Sie sich in den Warteraum!« Sie wandte sich um, nahm Valeska an der Hand und verschwand Richtung Röntgenabteilung. Ich fragte mich, wohl nicht ganz unbegründet, ob hier vielleicht mit zweierlei Maß gemessen wurde. Hein und ich kümmerten uns um die Dokumentation. Der Bericht war schnell geschrieben und der Fall damit für uns erledigt. Auf dem Weg zum Rettungswagen warfen wir zwecks Verabschiedung noch einen kurzen Blick in den Warteraum. Dort saß Georg mit den Ellenbogen auf den Knien, den Kopf in die Hände gestützt, und brabbelte irgendwelche Gutturallaute. Ein Blick auf den Boden verriet: Er hatte sich erstklassig in die Hose gepisst. Die folgenden Wochen waren eine Aneinanderreihung von Ruhestörungen, Schlägereien und sonstigen aufsehenerregenden Ereignissen, die immer einem ähnlichen Muster folgten. Erst wurde getanzt, dann gestritten und anschließend geschlagen. Die Polizei war machtlos. Obwohl einmal sogar ein Tanzverbot ausgesprochen wurde und die Einsätze der Polizei mittlerweile kostenpflichtig waren, hörte der Spuk nicht auf. Da Valeska und Georg sich nie gegenseitig anzeigten, fehlte es der Ordnungsbehörde an geeigneter Handhabe. Der Rettungsdienst räumte regelmäßig das Schlachtfeld auf und verfrachtete die beiden meist gemeinsam ins Krankenhaus. Im weiteren Verlauf wurden die Einsätze aber zunehmend komplizierter: Alkohol und sonstige berauschende Substanzen spielten eine immer größere Rolle. Hatte man sich anfangs wenigstens noch mit einem der beiden unterhalten können, gehörte inzwischen der Verlust des Bewusstseins fest zum Programm. Beide schenkten sich nichts. Ein ausgeglichenes Gewaltpotenzial sorgte dafür, dass die Opferrolle gleichmäßig verteilt war. Allein Hein und ich wurden innerhalb von zwei Monaten sechsmal zum »Hausbesuch« gerufen - andere Kollegen nicht mitgerechnet. Beim morgendlichen Schichtwechsel kam die Standardfrage: »Und, wart ihr bei Valeska und Georg? Gibts was Neues?« Es gab fast immer etwas Neues. Ich möchte den Leser nicht mit einem Dutzend Schlägereien nerven, deshalb hier nur ein paar Highlights: Einmal hatte Georg den abgeschlagenen Flaschenhals einer Rotweinflasche sehr dekorativ im Oberschenkel stecken. Ein anderes Mal hatte Valeska sich ein paar so kräftige Ohrfeigen eingefangen, dass sogar ihr Ohrknorpel blau verfärbt war. Da gehört schon was dazu - aber so ein blaues Ohr macht ja auch ordentlich was her. Dass es für Polizei und Rettungsdienst nicht langweilig wurde, dafür sorgten die beiden schon. Unser Tanzpaar hatte noch einiges in petto. Schritt eins war einfach: Das gesamte Mobiliar der gemeinsamen Wohnung wurde in die Auseinandersetzung mit einbezogen. Sie wissen schon, fliegende Teller, zerrissene Bücher. Es wurde in die frisch gefaltete Bügelwäsche Pipi gemacht, Festplatten wurden gelöscht und Ähnliches. Schritt zwei war schon etwas dramatischer. Abwechselnd wurde nun mit Selbstmord gedroht. Georg hatte einmal, um seiner Absicht Nachdruck zu verleihen, acht Abführtabletten geschluckt. Die Folgen möchte ich mir gar nicht vorstellen. Da die Ernsthaftigkeit der Suizidabsichten nicht immer ausgeschlossen werden konnte, landeten Valeska und Georg mehrmals kurzfristig in der Psychiatrie. Schritt drei bestand darin, nach Ankündigung des Selbstmordes per Notruf nicht mehr die Tür zu öffnen. Dies führte dazu, dass nach Polizei und Rettungsdienst nun auch die Feuerwehr auf den Plan gerufen wurde. Die Tür der immer noch gemeinsamen Wohnung wurde mehrmals unsanft aufgebrochen, um die vermeintlich Lebensmüden zu retten. Mit Türen-Eintreten à la Actionheld kam man hier nicht weit. Die Tür war zu stabil, auch die Feuerwehr musste schon ihr ganzes Repertoire an Aufbruchwerkzeug zum Einsatz bringen. Die ganzen Aktionen hinterließen natürlich Spuren. Die Tür sah aus, als ob die CIA dort alle zwei Tage eine
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