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Scheherazade macht Geschichten

Titel: Scheherazade macht Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Shaw Gardner
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Kameraden.
    »Wir brauchen uns hier nicht länger umzusehen«, verkündete er mit befehlsgewohnter Stimme. »Auf zum nächsten Stand!«
    Der andere Soldat nickte kurz, und beide gingen nach rechts davon. Scheherazade rührte sich nicht, bis die beiden von der Menge verschluckt worden waren. Dann ging sie schnell zu Hassan.
    »Die Alte Weise hat mir gesagt, ich solle nach dem Teppich, der weite Wege zurücklegt, fragen«, sagte sie.
    »Etwas anderes habe ich nicht erwartet«, lautete Hassans Antwort. Er drehte sich um und zog unter einem der Stapel einen kleinen Vorleger heraus. »Er steht Euch zur Verfügung. Tut mit ihm, was Ihr wollt. Ich gehe allerdings davon aus, daß Ihr und der Teppich eines Tages zurückkehren werdet.«
    Scheherazade dankte dem Händler und warf einen Blick auf den ausgebleichten Teppich vor ihr. Er sah nach einem ganz gewöhnlichen Vorleger aus, mit dem Unterschied, daß er im Lauf der Jahre ausgesprochen oft benutzt worden zu sein schien.
    »Und Ihr seid Euch sicher, daß Ihr jenen anderen, herrlichen Teppich nicht kaufen wollt?« fügte Hassan hoffnungsvoll hinzu. »Oben in den Lüften kann es sehr kalt sein.«
    Doch Scheherazade war entschlossen, den Anweisungen der Alten Weisen genau zu folgen, und so setzte sie sich in die Mitte des Teppichs und sprach, wie man sie geheißen hatte, folgende Worte:
    »Flieg, Teppich! Flieg, flieg, flieg!«
    Und der Teppich erhob sich augenblicklich in die Lüfte.
    »Möget Ihr einen guten Flug haben, o meine Königin«, erklang eine Stimme unter ihr.
    Scheherazade war nicht sicher, welchem Hassan diese Stimme gehörte: dem Teppichhändler oder jenem tapferen, gutaussehenden und aufopferungsvollen Soldaten.

Das 29. der 35 Kapitel,
    in dem Scheherazade entdeckt, daß es mehr als eine Art von Palästen gibt – und mehr als eine Art von Gefahr.
     
    Und so ließ Scheherazade all ihre Sorgen hinter sich – all ihre Sorgen, den Palast und die ganze Stadt, die sie bisher ihre Heimat genannt hatte. Schnell, aber sehr sanft flog der Teppich mit Scheherazade davon. Zuerst konnte sie noch überraschte und erstaunte Rufe aus der Menge unter sich hören, doch dann, als ihr verzaubertes Gefährt immer höher stieg, gingen diese im Rauschen des warmen Sommerwindes unter.
    Der Teppich drehte sich leicht unter Scheherazade und sie sah, wie die Häuser hinter ihr zurückblieben und sie auf die fernen Berge zusteuerten, eine Strecke, für die eine Karawane gut drei Tage gebraucht hätte, für die sie bei diesem Tempo und auf dem Luftweg aber bestimmt nicht mehr als einige Minuten brauchen würde. Sie fühlte sich so sicher und wohl auf ihrem verzauberten Teppich, daß sie es sogar wagte, sich über den Rand zu lehnen und nach unten zu schauen. Tief unter sich sah sie die Welt der Menschen, doch wirkte alles, was sonst so wichtig erschien, klein und unbedeutend. Die Häuser sahen wie winzige, in der Sonne glitzernde Juwelen auf einem riesigen braunen Tuch aus. Die Felder ähnelten grünen Inseln aus Smaragden, und die Seen und Meere glichen großen schillernden Türkisen, in denen sich das Sonnenlicht brach. Die Gipfel der immer näher rückenden Berge schienen von schneeweißen Perlen bedeckt zu sein. Die ganze Welt schien nur für sie dort unten ausgebreitet zu sein, und Scheherazade lachte vor Vergnügen. Zum ersten Mal seit ihrer Hochzeit fühlte sie sich sorgenfrei, auch wenn sie wußte, daß es nur ein vorübergehendes Glück war.
    Wieder änderte der Teppich seine Richtung, und sie sah, daß sie den Bergen näher war, als sie vermutet hatte. Um genau zu sein, senkte sich der Teppich bereits mit derselben Geschwindigkeit, mit der er aufgestiegen war, so daß es aussah, als würde er sich in eine der Bergspitzen unter ihnen bohren.
    Zum ersten Mal, seit dieser abenteuerliche Flug begonnen hatte, verspürte Scheherazade so etwas wie Angst. Sie rief sich die Worte der Alten Weisen ins Gedächtnis und versuchte sich zu beruhigen. Auch wenn sie nicht alles, was die Alte Weise gesagt hatte, verstanden hatte, so hatten sich ihre Worte bisher doch immer als wahr erwiesen.
    Dennoch stürzte sie weiterhin auf den Berg zu. Als sie näher kamen, bemerkte Scheherazade, daß sie nicht direkt auf den kargen Gipfel zuhielten, sondern die etwas tiefer gelegene Linie ansteuerten, an der die letzten Bäume an die Schneegrenze stießen. Wahrscheinlich tat es etwas weniger weh, an einem Gehölz zu zerschmettern als an einer Granitwand, doch dieser Gedanke tröstete sie nicht

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