Scheherazade macht Geschichten
ihre Abneigung ja nur in seiner hohen Fistelstimme begründet. Oder in seiner Gewohnheit, den kleinen Finger einer jeden Hand gen Himmel zu strecken, sobald er einen Vers rezitierte. Vielleicht wollte sie einfach noch kein endgültiges Urteil fällen, bevor Omar nicht seine nächste Strophe beendet hatte.
Die Omar natürlich prompt auch lieferte:
Und will der König Euch nicht seh 'n,
Könnt Ihr zu einem ander'n gehn:
Omar, zu spät entmannt zu seiner Zeit,
ist auch heute noch allzeit bereit!
»Verstehe ich dich richtig?« erwiderte Scheherazade, nicht ohne ein gewisses Maß an Verwunderung zu offenbaren.
»Wie soll ich es ausdrücken, ohne Anstoß zu erregen?« Omar beugte in einer äußerst demütig wirkenden Geste sein Haupt. »Zwar entspringt kein Sproß mehr meinen Lenden, doch kann ich noch immer Freude spenden.«
Diesmal war es Dunyazad, die ihn entrüstet anfuhr. »Omar, wie kannst du es wagen...«
»Ich wage gar nichts«, lautete die unterwürfige Antwort des gewichtigen Mannes, der soeben enthüllt hatte, wieso er höchstens nach den höheren Rängen seiner Gilde streben konnte, ohne Aussicht, sie jemals zu erreichen. »Ich rezitiere allerhöchstens ein paar Verse, um Euch die Sorgenfalten von der Stirn zu wischen. Meine einzige Aufgabe besteht darin, meiner Königin zu Diensten zu sein und ihr jeden Wunsch von den Lippen abzulesen. Ich höre und gehorche!«
Doch war weder Zeit für eine weitere Unterhaltung noch für ein neues Gedicht, denn sie waren an ihrem Ziel angekommen. Die auserwählten Leibwachen des Königs traten den dreien an den Pforten zu Shahryars Gemächern entgegen und befahlen Omar, sich zu entfernen. Die beiden Frauen wurden gebeten, einzutreten. Omar glitt also lautlos von dannen, und während Scheherazade zusah, wie seine massige Gestalt sich langsam entfernte, kam sie zu dem Schluß, daß es in der Tat etwas gab, das unerträglicher als Omars Vortragen von selbstgeschmiedeten Versen sein würde. Und das war Omars Vortragen von selbstgeschmiedeten Versen in völlig unbekleidetem Zustand.
So kam es also, daß Scheherazade und Dunyazad erneut den Palast betraten, aus dem nicht mehr lebend herauszukommen zumindest eine von ihnen fürchten mußte. Und als sie vor den König gebracht wurden, fanden sie diesen, wie er tief in Gedanken versunken sein Schwert betrachtete.
»Es ist erstaunlich«, sinnierte er, ohne eine der beiden Frauen anzusehen, »wieviel Schwerter ich verbrauche, seit ich mich so aufs Köpfen versteift habe.«
Scheherazade schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln. »Vielleicht, o Gebieter meines Schicksals, solltet Ihr Euch besser auf etwas anderes – versteifen.«
»Nun«, erwiderte Shahryar und hielt einen Moment inne, krampfhaft bemüht, dem Blick seiner Königin auszuweichen. »Es ist nicht etwa so, daß du dir wegen dieses Schwertes Sorgen zu machen brauchtest – länger als ein, zwei Sekunden auf jeden Fall nicht. Ich versichere dir, daß ich aufgrund der vielen Übung recht geschickt im Umgang mit dieser Waffe geworden bin.« Er stieß einen tiefen Seufzer aus. »Warum brüte ich bloß so viel über derlei Sachen?« Seine Hände verkrampften sich um den Griff des Schwertes. »Vielleicht habe ich schon zu lange nicht mehr geübt!«
Das war der Zeitpunkt, an dem Dunyazad einen bedeutungsvollen Blick ihrer Schwester auffing.
»O Scheherazade!« rief Dunyazad daher, ganz wie es vorher zwischen den beiden abgesprochen worden war. »Ich bitte dich, fahre fort, deine zauberhafte Geschichte zu erzählen, die ich so sehr bewundere!«
Bei diesen Worten blickte der König verwundert auf, als wäre er soeben erst aus einer geheimnisvollen Trance erwacht. »Nun, ja«, meinte er und hörte sich schon etwas weniger düster an, »auch ich würde gerne die Fortsetzung dieser Geschichte hören. Allerdings muß ich gestehen, daß ich mir leise Hoffnungen gemacht habe, daß es heute abend auch noch etwas zum Vernaschen geben würde.«
»Habe ich ein Wort davon gesagt, daß Süßigkeiten gestrichen sind, o mein Ehemann und Gebieter?« lautete Scheherazades Antwort.
Und wieder war Dunyazad so taktvoll, sich zurückzuziehen und eine ganze Weile lang die Möbelstücke und das übrige Inventar der Zimmer, die an die Gemächer des Königs grenzten, zu begutachten. Doch als es in jenem besagten Raum, in dem sie ihre Schwester zurückgelassen hatte, wieder einigermaßen ruhig geworden war, erachtete Dunyazad es wie beim ersten Mal für richtig, zurückzukehren, und
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