Scheherazade macht Geschichten
zischen hören konnte. Es klang eher wie ein Nest voller Schlangen als ein Gefäß voller Wein. Außerdem schien der obere Rand bei genauerem Hinsehen an den Stellen, an denen der Wein übergeschwappt war, durchlöchert und ausgezahnt. Leichter Rauch stieg aus der Flüssigkeit auf, dort, wo sie das Silbertablett berührte. Scheherazade verspürte keinerlei Bedürfnis, an diesem Geschenk auch nur zu riechen, geschweige denn, davon zu trinken, da sie fürchtete, dieses Bouquet würde die feinen Härchen in ihrer Nase auf ähnliche Weise zersetzen wie den Rand des Kelches.
Dennoch hielt es Scheherazade für unklug, sich jemandem aus dem Palast gegenüber ihre Angst anmerken zu lassen. »Wir danken derjenigen, die uns dieses Geschenk gemacht hat, wer immer sie auch sein mag«, antwortete sie daher mit all ihrer majestätischen Würde. »Doch leider ist es höchste Zeit, daß ich und meine Schwester etwas Ruhe finden, und ich fürchte, ein solcher Trunk könnte diese Ruhe stören.«
»Es wäre unverzeihlich von Euch, ein solches Geschenk nicht anzunehmen«, beharrte Omar. Er glitt noch einen Schritt vorwärts: dreihundert Pfund bebende Grazie. »Nehmt nur einen einzigen Schluck, und Ihr werdet wie nie zuvor ruhen!«
Der Diener machte einen letzten Schritt, doch plötzlich wich der aufmunternde Ausdruck auf seinem Gesicht dem größter Überraschung.
»Hoppla!« rief Omar, als der Teppich unter seinen Füßen nach links rutschte und der Kelch nach rechts flog, weg von Scheherazade. Der Diener landete auf den Knien, während das Gefäß auf dem Boden aufschlug und die Flüssigkeit sich über den Teppich ergoß.
»Ich bitte tausendmal um Verzeihung, o gnädigste aller Königinnen!« stieß Omar angesichts des Unglücks, das ihm widerfahren war, hervor. »Ich hätte nicht gedacht, daß ich so ungeschickt sein kann!«
Scheherazade hatte bisher dieselbe Meinung über ihren Sklaven gehabt. Wenn man bedachte, wie geschmeidig Omar sich im Palast bewegte, hätte man ihn nie auch nur einer einzigen ungeschickten Bewegung für fähig gehalten.
»Ich werde das hier schnell aufwischen«, verkündete Omar, während eine üppige, zischende Rauchwolke von den dicken Teppichen aufstieg, über die die Flüssigkeit sich verteilt hatte. »Bei Allah, ich werde diesen Teppich wohl ersetzen müssen. Sie scheinen etwas durchlöchert zu sein. Ich nehme an, das liegt daran, daß Handwerker heutzutage einfach keine gute Arbeit mehr liefern. Doch das kann meine Tölpelhaftigkeit keinesfalls entschuldigen.« Er begann, die beschädigten Teppiche aufzuwickeln und legte dabei eine erstaunliche Geschicklichkeit an den Tag. Noch immer konnte Scheherazade ein leises Zischen vernehmen, das tief aus dem zusammengerollten Stapel kam.
»Man sollte mich unzweifelhaft auspeitschen lassen«, fuhr Omar fort, während er sich die Teppiche unter die Arme klemmte und rückwärts das Zimmer verließ. »Danke, daß Ihr das veranlaßt habt. Ich werde sehen, daß Euer Befehl augenblicklich ausgeführt wird.«
Doch kaum hatte er das gesagt, hielt der dicke Diener abrupt inne und starrte zum anderen Ende des Raumes hinüber. »Bei Allah!« war alles, was er sagte.
Sowohl Scheherazade als auch Dunyazad drehten sich um, um zu sehen, was Omar derart aus der Fassung brachte. Und da, in einer Ecke des riesigen Gemachs, verschwand doch tatsächlich ein letztes Stückchen schwarzer Stoff und möglicherweise ein schwarz beschuhter Fuß hinter einem der vielen Wandschirme, die überall verteilt standen. Aber vielleicht war es auch bloß ein dunkler Schatten gewesen, der sich im Licht des frühen Morgens bewegt hatte. Das Ganze war so schnell vorüber, daß es schwer war, genau zu bestimmen, um was es sich eigentlich gehandelt hatte.
Dennoch schien Omar äußerst beunruhigt.
»Sulima«, flüsterte er.
»Was hast du gesagt?« fragte Scheherazade.
»Gesagt?« antwortete Omar und blinzelte, als wäre er eben erst aus einem tiefen Schlaf erwacht. »Nun, überhaupt nichts. Ihr werdet wohl nur das Geräusch meines Atems vernommen haben.« Er lachte nervös. »Es besteht wirklich keinerlei Grund zur Sorge wegen irgendwelcher übernatürlicher Wesen. Immerhin habe ich noch nie von jemandem gehört, der solche Wesen schon gesehen hat. Zumindest niemanden, der sie gesehen und dann noch lange genug gelebt hat, um davon zu berichten.«
Er lachte erneut, und sein Kichern klang erstaunlicherweise noch höher als üblich. »Was ich sagen will, ist: man sollte sich nicht unnötig
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