Scheherazade macht Geschichten
ausgeweidet und gehäutet. Den Kadaver legte man dem König über den Sattelbogen.
Als all das erledigt war, verkündete Sindbad, daß er durstig sei, denn der Tag war heiß, und die Hügel, über die sie geritten waren, grenzten an die Wüste. Doch nicht weit entfernt sah der König einen großen Baum stehen, und an den Seiten dieses Baumes floß Wasser herab, so dick wie flüssige Butter.
Der König war entzückt und griff sich das kleine Gefäß, das um den Hals des Falken hing, um die Flüssigkeit aufzufangen. Doch in dem Moment, als er das Schälchen an die Lippen hob, flog der Falke nach vorne, schrie: ›Krächz! Kefahr! Kefahr! Krächz!‹ und schlug Sindbad das kleine Gefäß aus der Hand.
Der König war darüber äußerst erstaunt und starrte den Vogel verwirrt an, als dieser sich wieder auf seiner behandschuhten Hand niederließ. ›Oho!‹ meinte er. ›Du bist also auch durstig? Nun, du hast heute gute Arbeit geleistet, also werde ich dir die Ehre des ersten Schluckes gewähren.‹
Der König füllte das Schälchen zum zweiten Male und bot es seinem Vogel an. Doch der Falke hackte mit seinem Schnabel nach den Fingern seines Herrn, krächzte: ›Krächz! Kicht krinken! Krächz !‹ und schlug dem König erneut die Schale aus der Hand.
›So ist das also?‹ meinte der König verärgert. Und wieder war es ihm, als ob der Vogel ihm etwas mitteilen wollte. Doch fühlte er sich genötigt, das Schälchen rasch noch einmal zu füllen, denn er bemerkte, wie die Jäger um ihn herum schon wieder zu zwinkern, zu kichern und einander mit den Ellbogen zu stoßen begannen. Daher beschloß er, dem Falken zu zeigen, wer hier der Herr war – und bot seinem Pferd den ersten Schluck des Wassers an.
Und erneut erhob sich der Falke in die Lüfte. Diesmal traf er das Gefäß mit einer seiner ausgestreckten Schwingen.
Dann flog er genau vor den König, so daß er mit seinen Falkenaugen genau in die des Menschen blicken konnte, und rief: ›Krächz! Ködlich! Kift! Kerstanden?‹.
Diese Beleidigung war zu groß für den König. Er wurde noch wütender, nannte den Falken einen unheilbringenden Vogel, zog blitzschnell sein Schwert und hackte dem Tier beide Schwingen ab.
Der Falke hob bloß in einer verzweifelten Geste den Kopf, blickte in die Krone des Baumes hinauf und sagte: ›Ko kergifte kich! Kelber Kuld! Krächz!‹
Der König, den dieses Verhalten sehr erstaunte, folgte dem Blick des Falken, und dort, in den obersten Ästen des Baumes, entdeckte er ein Nest voller Schlangen. Es waren Hunderte, und sie hatten sich alle umeinander geschlungen und ihre Mäuler weit geöffnet, und von ihren Fängen triefte Gift herab. Da erkannte der König, daß es dieses Gift war, das den Baum herunterfloß und das er fälschlicherweise für das Wasser einer klaren Quelle gehalten hatte.
›Was habe ich bloß getan?‹ rief der König mit einem verzweifelten Blick in den Himmel, doch in diesem Moment, nach einem letzten Todeskrächzen und einem allerletzten ›Klöder Kist!‹, erlag der Falke seinen Wunden. Erst da erkannte der König, daß er den getötet hatte, der ihn vor einem fürchterlichen Tod bewahrt hatte.‹
DIE GESCHICHTE
VON KÖNIG YUNANS WESIR
UND RAYYAN DEM MEDICUS UND DEM,
WAS SICH ZWISCHEN IHNEN EREIGNET HAT
(nur für ganz kurze Zeit wieder aufgegriffen)
Als der Wesir die Geschichte seines Königs zu Ende gehört hatte, ergriff er seinerseits das Wort: ›O großzügigster und gütigster aller Könige, ich weiß nicht, warum Ihr mir eine Geschichte mit solch einem traurigen Ende erzählt. Denn ich bin nur um Euer Wohlergehen besorgt, und ich bitte Allah darum, daß er Euch die Wahrheit meiner Worte erkennen läßt, denn ich fürchte, daß Ihr enden werdet wie jener verräterische Wesir, der nichts anderes im Sinn hatte, als dem Sohn eines Königs Schaden zuzufügen.‹
›Ich nehme an, du willst mir eine Geschichte erzählen‹, brummte der König, der sich in solchen Dingen gut auskannte.
›Nicht nur mächtig, nein, auch so viel weiser, als seine Jahre es vermuten ließen!‹ pries der Großwesir seinen Herrn, denn er spürte sehr wohl, daß seine Altersversorgung um so gefährdeter war, je länger er sich auf ein Streitgespräch mit dem König einließ. ›Wahrlich ein Herrscher, wie er in die Geschichte eingehen wird!‹ Und bevor dieser Herrscher weitere Einwände vorbringen konnte, begann der Wesir seine Geschichte zu erzählen:
DIE GESCHICHTE
VOM PRINZEN UND DER
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