Scheherazade macht Geschichten
solcher Größe und solch beeindruckender Farbe gesehen. Daher ordnete er an, sie der Küchenmagd zu übergeben, damit sie ein Mahl aus ihnen bereiten könne. Den Fischer aber belohnte er reichlich mit vierhundert Dinaren. Und so kam es, daß der Fischer den Palast in allerbester Stimmung verließ und sich auf den Weg machte, Geschenke für seine Frau und seine Kinder zu kaufen und damit unsere Geschichte für den Augenblick zu verlassen. Wir werden später auf ihn zurückkommen.
In der Palastküche machte sich die Küchenmagd inzwischen daran, die Fische zu putzen und in der Pfanne zuzubereiten. Geduldig wartete sie, bis sie auf einer Seite gut angebraten waren, bevor sie sie wendete. Doch kaum hatte sie das getan, da spaltete sich eine der Küchenwände, und mitten heraus trat eine junge Frau von außerordentlicher Schönheit und Anmut. Sie hatte sich einen leuchtend blauen Schal um den Kopf gebunden, so daß ihr Haar ihr frei über die Schultern fiel. An ihren Armen und um ihren Hals trug sie viele goldene Reifen, und in ihren Ohren steckten große Ringe, die ebenfalls aus Gold waren.
Als ob das alles noch nicht seltsam genug gewesen wäre, trat die junge Frau an den Ofen, richtete einen Zauberstab aus Bambusrohr, den sie bei sich trug, auf das Feuer und fragte: ›Fische, Fische, seid ihr treu?‹
Und wie aus einem Munde antworteten ihr die Fische folgendes:
Komm zurück, wir sind parat,
Die Treue lösen wir dir ein.
Doch übst schändlich du an uns Verrat,
Wird es zu deinem Schaden sein.
Als sie das hörte, sprang die Köchin erschrocken zur Seite, wobei sie in ihrer Hast die Pfanne umstieß. Verwirrt sah sie sich um, doch die junge Frau war verschwunden, und dann stellte sie fest, daß alle vier Fische ins Feuer gefallen und verkohlt waren.
Nun, damit hatten die Dinge ohne Zweifel eine beunruhigende Wendung genommen. Da war vor allem eine Sache: Wie konnte jemand ernsthaft versuchen, etwas auf ›parat‹ zu reimen? Doch wenn sie näher darüber nachdachte, sollte sie vielleicht nicht allzu strenge literaturkritische Maßstäbe anlegen, immerhin war es schon erstaunlich, daß Fische überhaupt reimen konnten.
Wichtiger war allerdings etwas, worüber sich nicht streiten ließ, und das war folgendes: die Fische waren verbrannt, also gab es nichts mehr, was sie für das Abendessen des Sultans bereiten konnte. Daher sandte sie nach dem Großwesir, um diesem von dem Unglück, das ihr widerfahren war, zu erzählen.
Der Wesir zeigte sich sehr überrascht, aber er wußte auch, daß die Köchin bisher nicht dazu geneigt hatte, ihrer Phantasie allzu freien Lauf zu lassen, also mußte das, was sie sagte, ein Körnchen Wahrheit beinhalten. Daher suchte der Wesir den Fischer auf und bestellte bei ihm vier weitere Fische aus demselben See für den nächsten Tag.
Und diesen Auftrag erfüllte der Fischer auch und lieferte vier weitere bunte Fische: einen roten, einen gelben, einen weißen und einen blauen. Und nach Rücksprache mit dem Sultan belohnte der Wesir den Fischer erneut mit vierhundert Dinaren. Außerdem trug er ihm auf, sich für den nächsten Tag bereitzuhalten, falls seine Dienste wieder benötigt würden. Das versprach der Fischer zu tun und machte sich auf den Weg nach Hause, glücklicher und reicher noch als am Tag zuvor. Der Wesir aber brachte die Fische zur Köchin und teilte ihr mit, daß er anwesend sein wolle, während sie sie zubereitete, so daß er Zeuge eines jeden Wunders werden würde, sollte ein solches eintreten.
Wieder begann die Köchin die Fische für den Sultan zu bereiten. Und alles verlief ohne Zwischenfälle, bis sie die Fische wenden wollte, um sie auf der anderen Seite zu braten. Im selben Moment öffnete sich wie am Vortag die Küchenwand, und dieselbe betörende, gutgekleidete junge Frau mit ihrem Zauberstab aus Bambusrohr trat hervor. Sie würdigte weder die Köchin noch den Wesir eines Blickes, sondern ging schnurstracks zur Pfanne, in der die Fische lagen, und fragte: ›Fische, Fische, seid ihr treu?‹
Und die Fische antworteten:
Komm zurück, wir sind parat.
Die Treue lösen wir dir ein.
Doch wappne dich für ein Blutbad,
solltest falsch du zu uns sein.
Woraufhin die junge Frau die Pfanne mit ihrem Zauberstab umstieß und durch das selbe Loch in der Wand, durch das sie gekommen war, wieder verschwand.
›Ich kann das nicht glauben!‹ rief der Wesir, während die Köchin die Fische aus dem Feuer rettete, obwohl sie auch diesmal vollkommen verbrannt
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