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Scheherazade macht Geschichten

Titel: Scheherazade macht Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Shaw Gardner
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der Wesir alle, die nach dem Sultan fragten, mit der Antwort abspeisen, daß er sich nicht wohl fühle.
    Der Großwesir tat, wie ihm befohlen worden war, während der Sultan sich verkleidete, sich sein Schwert umschnallte und durch den Hinterausgang den Palast verließ. Augenblicklich machte er sich auf den Weg über die Hügel zum See, entschlossen, nicht eher zu ruhen, bis er jemanden gefunden hatte, der ihm die Geschichte des Sees und der Fische erzählen konnte. Und so wanderte er also von Hügel zu Hügel und von Berg zu Berg, und nur in der allergrößten Hitze des Tages gönnte er sich eine Ruhepause. Doch weder in der Nacht noch im Verlaufe des folgenden Tages traf er auf eine Menschenseele. Kein Dorf, nicht einmal eine einsame Hütte war zu sehen, und dennoch gab der Sultan nicht auf und wanderte weiter über Berg und Tal, bis die Sonne sich erneut dem Horizont zuneigte. Es war im letzten Licht des Tages, daß er in der Ferne ein großes schwarzes Gebilde erblickte, und er beeilte sich, dorthin zu gelangen, bevor die Nacht endgültig hereinbrach.
    Als er näher kam, erkannte er, daß das schwarze Gebilde ein Palast war. Er war aus großen schwarzen Steinblöcken erbaut, die von starken Metallkrampen zusammengehalten wurden. Er eilte auf das riesige, doppelflügelige Eingangstor zu, das halb offenstand, und klopfte leise ans Holz.
    Keine Antwort.
    Er klopfte noch einmal, diesmal ein wenig fester, wenn auch immer noch höflich. Wieder keine Antwort. Er klopfte zum drittenmal, diesmal mit all der Autorität, die ein Monarch gewöhnlich aufzubringen imstande ist, der Erfolg blieb jedoch derselbe. Schließlich hämmerte er mit all seiner Kraft gegen das Tor, doch als das Echo im Innern des Palastes verklang, herrschte bloß Schweigen.
    Also muß ich wohl annehmen, dachte der Sultan, daß niemand da ist. Dennoch rief er der Form halber mit lauter Stimme: ›He da, wer auch immer in diesem Palast residieren mag! Ich bin ein müder Wandersmann, und ich bitte um Eure Gastfreundschaft.‹
    Keine Antwort.
    Da bin ich also losgezogen auf der Suche nach Antworten, dachte der Sultan, und alles, was ich finde, sind neue Rätsel. Er legte eine Hand auf den Griff seines Schwertes und beschloß, das Innere des Palastes zu erkunden.
    Unbehelligt gelangte er durch die Eingangshalle bis zum Innenhof des Palastes. Das Gebäude war in der Tat überaus prächtig. An den Wänden des Hofes hingen die schönsten Wandteppiche. Sie waren von tiefstem Blau, und auf ihnen waren Myriaden von kleinen, strahlend weißen Punkten verstreut, als hätte man jeden einzelnen Stern des Nachthimmels nachbilden wollen. In der Mitte des Hofes stand ein großer Springbrunnen, dessen Sockel die Form von vier goldenen Löwen hatte, und das Wasser dieses Brunnens schimmerte im güldenen Licht der untergehenden Sonne, so daß die Tropfen gar nicht mehr wie Wasser aussahen, sondern eher wie funkelnde Diamanten und glänzende Perlen. Außerdem flatterten überall Singvögel jeder Größe und mit dem farbenprächtigsten Gefieder herum. Ein großes, goldenes Netz, das man über den Hof gespannt hatte, verhinderte, daß sie wegflogen.
    Doch so prachtvoll die Umgebung auch sein mochte, der Sultan war der Verzweiflung nahe, denn nun hatte er alle Hoffnung aufgegeben, noch jemanden zu treffen, der ihm das Geheimnis des Sees und der Fische verraten konnte. Also ließ er sich niedergeschlagen auf einer der kunstvoll gefertigten Bänke nieder, die um den Brunnen herum aufgestellt waren, um zu überlegen, was als nächstes zu tun sei.
    Und als der Sultan so gedankenversunken dasaß, vernahm er plötzlich über dem Plätschern des Wassers und dem Zwitschern der Vögel noch ein anderes Geräusch, das wie eine menschliche Stimme klang, die leise vor sich hinsang. Rasch sprang der Sultan auf, um nach der Quelle dieses Gesangs zu suchen, und entdeckte hinter dem nächstliegenden Wandteppich eine verborgene Tür. Als er den Teppich beiseite schob, konnte er auf einmal auch die Worte des traurigen Liedes verstehen:
     
    Vieles ließ sie mich vergessen,
    Denn göttlich ist der Liebe Macht.
    Heute wünscht' ich mir statt dessen,
    Ich hätt' an Selbstmord mehr gedacht.
     
    Ich konnt' der Lieb' nicht widerstehn,
    Wußt' nicht, es würde so sein.
    Warum nur war ich da, um sie zu sehn,
    Und nicht weit weg bei meinem Oheim ?
     
    Darauf folgten zahlreiche Strophen ähnlich deprimierenden Inhalts.
    Der Sultan war jedoch vor allem über den Sänger erstaunt. Er erweckte ganz den

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