Scheinbar verliebt
„Nein, aber wenn Sie mir noch sechs Monate geben –“
„Das reicht nicht. Normalerweise führe ich meine Geschäfte nicht so, aber die Stadt hat mir ein knallhartes Angebot gemacht. Sie wollen das Grundstück und zwar sofort.“
„Und sie können es auch haben. Wenn unser Vertrag ausläuft, was erst im September ist.“
„Sie haben mir einen riesigen Bonus angeboten, wenn ich diese Woche verkaufe. Ich habe zwei Kinder, die aufs College gehen.“
„Und ich habe dreizehn Mädchen, die dann obdachlos sind. Wir hatten einen Vertrag. Ein rechtskräftiges Dokument. Soll ich wirklich meinen Anwalt einschalten? Das können Sie doch nicht wollen.“
„Da haben Sie recht. Aber Sie könnten es sich nicht leisten, die ganze Sache in die Länge zu ziehen. Dazu fehlen Ihnen die finanziellen Mittel. Und die Stadt wird in dieser Sache sicher nicht fair kämpfen, das können Sie mir glauben. Sie können nicht gewinnen.“
„Treffen Sie sich mit mir in der Mitte. Wir können über alles reden.“
„Das kann ich nicht machen. Es tut mir leid.“
Ihre Kehle war wie zugeschnürt. „Wir können nirgendwo hin. Und erst recht können wir es nicht bis morgen schaffen, das ganze Haus leer zu räumen. Bitte, Mr Greene, die Mädchen verlassen sich darauf, dass ich mich um sie kümmere.“
Die Leitung war tot. Mr Greene war fertig mit ihr. Mit Saving Grace.
Ihre Arbeit. Ihr Traum. Innerhalb weniger Tage würde alles zu Staub werden.
Wie sollte sie all diese Möbel hier herausschaffen? Wo sollte sie sie lassen? Wie sollte sie es den Mädchen beibringen?
Betäubt. Erschöpft. Geschlagen.
Immer noch hielt Lucy das Telefon in der Hand. Langsam ging sie in die Mitte des Raumes und ließ sich auf den Boden sinken. Dorthin, wo die Knie der Schwestern ihre Spuren hinterlassen hatten. Frauen, die mehr Vertrauen in Gott gehabt haben mussten als sie. Frauen, die in so einer Situation sicher nicht verzweifelt wären. Die wüssten, was zu tun wäre.
Lucy kniete sich hin, wie schon die Frauen vor ihr es getan haben mussten und berührte mit der Stirn den Boden.
Doch sie fand keine Worte.
Sekunden vergingen. Minuten.
Mit zitternden Fingern tippte sie schließlich eine Nummer ins Telefon. Matt liebte sie. Das war alles, was im Moment noch zählte.
Zumindest hätte sie gedacht, dass es noch zählte.
Lucy bemühte sich nicht, vom Boden aufzustehen, während das Telefon am anderen Ende der Leitung läutete.
Es klickte und eine tiefe Stimme erklang. „Alex Sinclair.“
Sie schloss die Augen.
„Hallo?“
„Ich bin es.“ Sie räusperte sich. „Lucy.“
„Hallo, Lucy.“ Seine Stimme klang vorsichtig. Stille folgte. „Willst du mir irgendwas sagen?“
„Alex?“
„Ja?“
„Ich mache es.“
9. Kapitel
W ährend sich am Charlestoner Himmel die Abenddämmerung abzeichnete, saß Lucy auf ihrer Couch und trommelte zum Rhythmus eines Harry-Connick-Junior-Songs auf ihre Knie.
Wo hatte sie sich da nur hineinmanövriert? Sie war dem Untergang geweiht. Heute Nachmittag hatte sie auf der kleinen gepunkteten Linie unterschrieben, die ihre Prinzipien verkaufte und sie auf den Weg des Unheils und der Zerstörung führte.
Von ihrer Wohnungstür her erklang ein selbstbewusstes Klopfen.
Die Stunde der Abrechnung war gekommen.
Sie konnte diese Tür nicht aufmachen. Es zu tun, würde eine Welt des Schmerzes öffnen, eine Büchse der Pandora, einen Tsunami des moralischen Verfalls.
Aber welche Wahl hatte sie? Sie hatte jetzt eine Lösung für ihre Probleme gebraucht und nicht erst in einem Monat.
Alex Sinclair klopfte noch einmal. Lauter. Auf der anderen Seite der Tür stand ein Mann, der es nicht gewöhnt war, dass man ihn warten ließ. Der seinen Willen bekam.
Lucy blieb sitzen, ihr Körper fühlte sich seltsam taub an.
„Ich weiß, dass du da bist“, rief er. „Mach die Tür auf. Es ist heiß und ich mag es nicht zu schwitzen.“
Mit einem geflüsterten Gebet auf den Lippen erhob sie sich, wischte ihre klammen Hände an der Jeans ab und machte sich langsam auf den Weg zur Tür. Ihre zitternden Finger fanden den Türknauf.
Und da stand er, umstrahlt vom Glühen der untergehenden Sonne in seinem Rücken. Lässig lehnte er an der Wand, als käme er nur zum Fernsehschauen vorbei und nicht, um eine Scheinverlobung zu besprechen. „Du wolltest nicht aufmachen.“
„Stimmt.“
„Du willst einen Rückzieher machen, oder?“
„Ja. Ich meine, nein.“ Lucy schüttelte den Kopf. „Nein.“ Sein selbstgefälliges Lächeln
Weitere Kostenlose Bücher