Scheintot
dritten Legislaturperiode Senator«, sagte Glasser. »Um so lange politisch zu überleben, muss man sich im Lauf der Zeit auf so manchen Handel einlassen und so manchen Kompromiss schließen. Geben Sie Acht, wem Sie vertrauen. Mehr sagen wir nicht. Wir haben diese Lektion schon vor langer Zeit gelernt.«
»Es ist also gar nicht der Terrorismus, der Sie beschäftigt«, sagte Jane.
»Was mich beschäftigt, sind fünfzigtausend verschwundene Frauen. Es geht um Sklaverei innerhalb unserer Landesgrenzen. Es geht um Menschen, die missbraucht und ausgebeutet werden von Freiern, die an nichts anderem als einer scharfen Nummer interessiert sind.« Sie hielt inne und atmete tief durch. »Nur darum geht es hier«, schloss sie mit leiser Stimme.
»Das klingt nach einer persönlichen Kampagne, die Sie da betreiben.«
Glasser nickte. »So ist es, und das schon seit vier Jahren.«
»Und warum haben Sie diese Frauen in Ashburn dann nicht gerettet? Sie müssen doch gewusst haben, was in diesem Haus ablief.«
Glasser erwiderte nichts; das musste sie auch nicht. Ihre niedergeschlagene Miene bestätigte, was Jane bereits vermutet hatte.
Jane wandte sich an Barsanti. »Deswegen sind Sie so schnell am Tatort aufgetaucht. Praktisch gleichzeitig mit der Polizei. Sie wussten schon, was dort vor sich ging. Sie müssen es gewusst haben.«
»Wir hatten den Tipp erst ein paar Tage vorher bekommen«, sagte Barsanti.
»Und Sie haben nicht sofort eingegriffen? Sie haben diese Frauen nicht gerettet?«
»Wir hatten noch keine Abhörvorrichtungen installiert. Und somit keine Möglichkeit zu überprüfen, was da drin wirklich vorging.«
»Aber Sie wussten doch, dass es sich um ein Bordell handelte. Sie wussten, dass die Mädchen dort gefangen gehalten wurden.«
»Es stand mehr auf dem Spiel, als Sie wissen können«, sagte Glasser. »Weit mehr als das Schicksal dieser fünf Frauen. Wir waren an einer viel größeren Sache dran und durften die Ermittlungen nicht gefährden. Durch ein verfrühtes Eingreifen hätten wir uns die Chance verstellt, weiter im Geheimen zu ermitteln.«
»Und jetzt sind fünf Frauen tot.«
»Glauben Sie, ich
weiß
das nicht?« Glassers betroffene Reaktion überraschte sie alle. Unvermittelt stand sie auf und trat ans Fenster, wo sie stehen blieb und auf die Lichter der Stadt hinausblickte. »Wissen Sie, was der übelste Exportartikel war, den unser Land je nach Russland ausgeführt hat? Das eine Geschenk von uns an sie, von dem ich wünsche, es wäre nie gemacht worden? Das ist dieser Film
Pretty Woman.
Sie wissen schon, der mit Julia Roberts. Die Prostituierte als Aschenputtel. Das russische Publikum liebt diesen Film. Die Mädchen sehen ihn und denken: Wenn ich nach Amerika gehe, werde ich Richard Gere kennen lernen. Er wird mich heiraten, ich werde reich sein, ich werde glücklich und zufrieden sein bis ans Ende meiner Tage. Und so mag das Mädchen vielleicht anfangs misstrauisch sein und bezweifeln, dass in den USA wirklich ein seriöser Job auf sie wartet, aber sie denkt sich, dass sie nur ein paar Freier bedienen muss, und dann wird irgendwann Richard Gere auftauchen und sie retten. Also wird das Mädchen in eine Maschine beispielsweise nach Mexiko City gesetzt. Von dort reist sie per Schiff nach San Diego. Oder aber die Menschenschmuggler fahren mit ihr über einen stark frequentierten Grenzübergang, und wenn sie blond ist und Englisch spricht, wird man sie einfach durchwinken. Und manchmal lassen sie sie auch einfach zu Fuß über die Grenze gehen. Sie denkt, dass ein Leben als
Pretty Woman
auf sie wartet. Stattdessen wird sie gekauft und verhökert wie ein Stück Fleisch.« Glasser drehte sich um und sah Jane an. »Wissen Sie, wie viel ein gut aussehendes Mädchen einem Zuhälter einbringen kann?«
Jane schüttelte den Kopf.
»Dreißigtausend Dollar pro Woche. Pro
Woche.
« Glassers Blick ging wieder zum Fenster. »Es gibt nicht viele Villen, in denen ein Richard Gere darauf wartet, Sie zu heiraten. Viel eher landen Sie als Gefangene in einem Haus oder einem Apartment, bewacht von den wahren Ungeheuern in diesem Geschäft. Den Menschen, die Sie anlernen, zur Disziplin zwingen, die Ihren Widerstand brechen – und das sind immer andere Frauen.«
»Das fünfte Opfer«, sagte Gabriel.
Glasser nickte. »Die Puffmutter, wenn Sie so wollen.«
»Ermordet von denselben Leuten, für die sie gearbeitet hat?«, fragte Jane.
»Wenn Sie mit den Haien schwimmen, dürfen Sie sich nicht wundern, wenn Sie gebissen
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