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Scheintot

Scheintot

Titel: Scheintot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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geladen und in ihr Holster gesteckt. Zwar hatte sie ihre Waffe stets mit der gesunden Portion Respekt betrachtet, die einem Gegenstand gebührte, der einem Menschen ein Loch in die Brust reißen konnte, doch nie zuvor hatte sie gezögert, danach zu greifen. Das muss ein Effekt der Mutterschaft sein, dachte sie. Wenn ich jetzt eine Waffe sehe, muss ich immer gleich an Regina denken. Daran, dass ein Zucken des Fingers am Abzug, eine verirrte Kugel, sie mir wegnehmen könnte.
    »Du musst doch nicht selbst hingehen«, sagte Gabriel.
    Sie saßen in Gabriels Volvo, der in der Newbury Street stand, wo die schicken Läden nun jeden Moment schließen würden. Elegant gekleidete Paare kamen nach ihrem samstäglichen Restaurantbesuch vorbeigeschlendert, gesättigt und vom Wein beschwingt. Anders als Jane, die vor Nervosität nur ein paar Bissen von dem Schmorbraten hinuntergebracht hatte, den Angela vorbeigebracht hatte.
    »Sie können doch irgendeine andere Polizistin schicken«, fuhr Gabriel fort. »Du kannst ruhig auch mal jemand anders ranlassen.«
    »Mila kennt meine Stimme. Sie kennt meinen Namen. Ich muss es tun.«
    »Du bist jetzt seit einem Monat nicht mehr dabei.«
    »Und es wird allmählich Zeit, dass ich wieder einsteige.«
    Sie sah auf ihre Uhr. »Vier Minuten«, sagte sie in ihr Sprechfunkgerät. »Ist alles bereit?«
    Im Ohrknopf vernahm sie Moores Stimme: »Wir sind auf unseren Posten. Frost steht an der Ecke Beacon und Huntington und ich vor dem Four Seasons.«
    »Und ich werde hinter dir sein«, sagte Gabriel.
    »Okay.« Sie stieg aus und zog ihre leichte Jacke straff, damit die Waffe sich darunter nicht abzeichnete. Als sie die Newbury Street in westlicher Richtung hinunterging, musste sie sich ihren Weg durch Scharen von Touristen und Wochenendausflüglern bahnen. Menschen, die es nicht nötig hatten, eine Waffe am Gürtel mit sich herumzuschleppen. An der Arlington Street blieb sie stehen und wartete, bis die Fußgängerampel auf Grün sprang. Auf der anderen Straßenseite begann der Stadtpark, und zu ihrer Linken war die Beacon Street, wo Frost postiert war, doch sie sah nicht in seine Richtung. Und sie wagte es auch nicht, einen Blick über die Schulter zu werfen, um sich zu vergewissern, dass Gabriel hinter ihr war. Sie wusste, dass er da war.
    Sie überquerte die Arlington und betrat den Stadtpark.
    Während auf der Newbury Street reges Treiben geherrscht hatte, waren hier nur wenige Touristen zu sehen. Auf einer Bank am Teich saß ein Pärchen, eng umschlungen und ohne einen Gedanken an irgendetwas oder irgendjemanden außerhalb ihres eigenen aufregenden Universums. Ein Mann beugte sich über einen Abfallbehälter, fischte Getränkedosen heraus und ließ sie scheppernd in den Sack fallen, den er in der Hand hielt. Auf dem Rasen, durch die Bäume vom Schein der Straßenbeleuchtung abgeschirmt, hockten ein paar Jugendliche im Kreis zusammen und klimperten abwechselnd auf einer Gitarre. Jane blieb am Ufer des Teichs stehen und blickte sich suchend im Halbdunkel des Parks um.
Ist sie hier? Beobachtet sie mich vielleicht schon?
Niemand kam auf sie zu.
    Langsam ging sie einmal um den Teich herum. Am Tag dümpelten hier die traditionellen Bostoner Schwanenboote im Wasser umher, Familien schlenderten Eis essend am Ufer entlang, und Bongospieler sorgten für die musikalische Umrahmung. Aber heute Abend war das Wasser still, nur ein schwarzes Loch, in dem nicht einmal ein schwacher Widerschein der Großstadtlichter zu sehen war. Sie ging weiter bis zum Nordende des Teichs und blieb stehen, im Ohr den Verkehr auf der Beacon Street. Durch die Büsche sah sie einen Mann scheinbar müßig unter einem Baum stehen. Barry Frost. Sie wandte sich ab und setzte ihren Rundgang um den Teich fort, bis sie im Lichtkegel einer Laterne stehen blieb.
    Hier bin ich,
Mila.
Schau mich in aller Ruhe an. Du siehst, ich bin allein.
    Nach einer Weile setzte sie sich auf eine Bank. Sie kam sich vor wie der Star eines Einpersonenstücks, die Laterne wie ein Scheinwerfer, der auf ihren Kopf gerichtet war. Sie spürte Augen, die sie beobachteten, die ihre Privatsphäre verletzten.
    Hinter ihr ertönte ein schepperndes Geräusch. Sie fuhr herum und griff automatisch nach ihrer Waffe. Mit der Hand am Holster hielt sie abrupt inne, als sie sah, dass es nur der abgerissen aussehende Mann mit seinem Müllsack voller klappernder Weißblechdosen war. Mit pochendem Herzen ließ sie sich wieder auf die Parkbank sinken. Ein leichter Wind wehte jetzt

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