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Scheintot

Scheintot

Titel: Scheintot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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Bettgestell festzuschnallen. Ein Nachttisch war soeben umgefallen, und der Boden war glitschig von verschüttetem Wasser.
    »Brauchen Sie Hilfe?«, rief Maura.
    Der Arzt sah sie über die Schulter an, und sie erhaschte einen Blick auf blaue Augen und einen blonden Bürstenschnitt. »Nein, wir kommen schon klar. Wir haben sie unter Kontrolle«, erwiderte er.
    »Warten Sie, ich helfe Ihnen, sie festzuschnallen«, bot sie an und trat neben den Wachmann an die Seite des Bettes. Als sie nach dem losen Handgelenksgurt greifen wollte, sah sie, wie die Frau plötzlich eine Hand losriss. Gleichzeitig stieß der Wachmann einen erstickten Schreckenslaut aus.
    Der Knall ließ Maura zusammenfahren. Etwas Warmes klatschte ihr ins Gesicht, und im gleichen Augenblick fiel der Wachmann plötzlich taumelnd seitwärts, auf sie zu. Unter der Last seines Körpergewichts geriet sie ins Straucheln, fiel und landete unter ihm auf dem Rücken. Das kalte Wasser vom Boden tränkte ihre Bluse, während von oben warmes Blut auf sie herabtroff. Sie versuchte, sich von dem auf ihr liegenden Körper zu befreien, doch er war schwer, so schwer, dass er alle Luft aus ihren Lungen zu quetschen schien.
    Der Mann begann zu zittern, als die Zuckungen des Todeskampfes ihn erfassten. Wieder überschwemmte ein Schwall heißer Flüssigkeit ihr Gesicht, lief ihr in den Mund, und der Geschmack ließ sie würgen.
Ich werde darin ertrinken.
Mit einem Schrei stemmte sie sich gegen ihn, und endlich glitt der blutüberströmte Körper des Wachmanns von ihr hinunter.
    Maura rappelte sich hastig auf und sah nach der Frau, die sich inzwischen von allen Fesseln befreit hatte. Dann erst erkannte sie, was die Frau mit beiden Händen gepackt hielt.
    Die Pistole. Sie hat dem Wachmann die Pistole abgenommen.
    Der Arzt war verschwunden. Maura war allein mit der Frau ohne Namen, und sie starrten einander an. Mit erschreckender Klarheit registrierte Maura jedes Detail ihres Gegenübers: das wirre schwarze Haar, den irren Blick der weit aufgerissenen Augen. Und das unerbittliche Anspannen der Sehnen in ihrem Arm, als sich ihre Finger immer fester um den Griff der Waffe schlossen.
    O Gott, sie wird abdrücken.
    »Bitte«, flüsterte Maura. »Ich will Ihnen doch nur helfen.«
    Das Geräusch eiliger Schritte zog die Aufmerksamkeit der Frau auf sich und ließ ihren Blick zur Seite schnellen. Schon wurde die Tür aufgerissen, und eine Krankenschwester starrte mit offenem Mund die blutige Szene an.
    Plötzlich sprang die namenlose Frau aus dem Bett. Es ging so schnell, dass Maura keine Zeit blieb, um zu reagieren. Sie wurde stocksteif, als die Frau ihren Arm packte und der Lauf der Pistole sich in ihren Hals bohrte. Mauras Herz schlug wie ein Dampfhammer gegen ihre Rippen, als sie sich von der Frau zur Tür schieben ließ und den kalten Stahl auf ihrer Haut spürte. Die Schwester wich zurück, vor Entsetzen brachte sie kein Wort hervor. Maura wurde aus dem Zimmer gedrängt, hinaus auf den Flur. Wo blieb der Sicherheitsdienst? Holte irgendjemand Hilfe? Sie gingen weiter in Richtung Stationszentrale; der schwitzende Körper der Frau ganz nahe an ihrem, ihr gehetztes Keuchen ein tosendes Rauschen in Mauras Ohr.
    »Vorsicht! Aus dem Weg, sie hat eine Waffe!«, hörte Maura jemanden rufen, und aus dem Augenwinkel erblickte sie die Gruppe von Assistenzärzten, die sie noch wenige Minuten zuvor auf dem Flur gesehen hatte. Jetzt war es nicht mehr so weit her mit dem Selbstbewusstsein, das ihnen die weißen Kittel verliehen – mit weit aufgerissenen Augen wichen sie ängstlich zurück. So viele Zeugen; so viele Menschen – aber was nützte es ihr?
    Hilft mir denn niemand, verdammt noch mal?
    Die namenlose Frau und ihre Geisel erreichten die Stationszentrale. Als die Frauen hinter dem Tresen sie erblickten, erstarrten sie vor Schreck und sahen ihnen stumm nach wie eine Gruppe von Wachsfiguren. Das Telefon läutete, aber niemand ging hin.
    Direkt vor ihnen war der Aufzug.
    Die Frau drückte den Abwärts-Knopf. Die Tür glitt auf, und die Frau stieß Maura in die Kabine, stieg hinter ihr ein und drückte auf »E«.
    Vier Stockwerke. Werde ich noch am Leben sein, wenn diese Tür sich wieder öffnet?
    Die Frau wich an die gegenüberliegende Wand zurück. Maura starrte sie unverwandt an. Zwing sie zu sehen, wen sie vor sich hat. Sie soll dir in die Augen sehen müssen, wenn sie abdrückt. Es war kühl im Lift, und die namenlose Frau war nackt unter ihrem dünnen Krankenhauskittel. Dennoch

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