Scheintot
ständig auf eine geladene Pistole starren.
Ich könnte die Tür trotzdem abschließen. Ich könnte einfach hier drinbleiben und abwarten, bis alles vorbei ist.
Aber dann dachte sie an Dr. Tam und den Pfleger, an Glenna und Domenica, die eng umschlungen auf der Couch kauerten. Wenn ich die wahnsinnige Lady ärgere, werden sie darunter zu leiden haben. Es wäre feige von mir, mich hinter einer verschlossenen Tür zu verstecken.
Sie benutzte die Toilette und wusch sich die Hände. Ließ Wasser in die hohle Hand laufen und trank ein paar Schlucke – schließlich konnte sie nicht wissen, wann sie wieder etwas zu trinken bekommen würde. Während sie sich das nasse Kinn abwischte, blickte sie sich in der kleinen Toilette um, suchte sie ab nach einem Gegenstand, den sie als Waffe benutzen könnte, doch sie sah nichts außer Papierhandtüchern, einem Seifenspender und einem Abfalleimer aus Edelstahl.
Plötzlich wurde die Tür aufgestoßen. Sie fuhr herum und blickte in die Augen ihrer Peinigerin.
Sie traut mir nicht. Natürlich traut sie mir nicht.
»Ich bin fertig«, sagte Jane. »Ich komme jetzt raus.« Sie verließ die Toilette und ging zurück zur Couch. Dabei sah sie, dass die Patientenakte noch immer auf dem Beistelltisch lag.
»Jetzt setzen wir uns hin und warten«, sagte die Frau und nahm auf einem Stuhl Platz, mit der Waffe auf dem Schoß.
»Worauf warten wir?«, fragte Jane.
Die Frau starrte sie an. Und sagte ruhig: »Auf das Ende.«
Ein Schauder überlief Jane. Und im gleichen Moment spürte sie etwas anderes: In ihrem Bauch zog sich etwas zusammen wie eine Hand, die sich langsam zur Faust ballt. Sie hielt dem Atem an, als die Kontraktion schmerzhafter wurde, und Schweißperlen traten ihr auf die Stirn. Fünf Sekunden. Zehn. Allmählich ließ der Schmerz nach, und sie sank schwer atmend auf die Couch zurück.
Dr. Tam musterte sie stirnrunzelnd. »Was fehlt Ihnen?«
Jane schluckte. »Ich glaube, die Wehen haben eingesetzt.«
»Wir haben eine Polizistin da drin?«, fragte Captain Hayder.
»Sie dürfen das auf keinen Fall durchsickern lassen«, sagte Gabriel. »Ich will nicht, dass
irgendwer
erfährt, was sie von Beruf ist. Wenn die Geiselnehmerin erfährt, dass sie eine Kripobeamtin in ihrer Gewalt hat …« Gabriel holte tief Luft und fuhr dann leise fort: »Es darf nicht an die Medien rausgehen. Das ist alles, was ich verlange.«
Leroy Stillman nickte. »Wir werden dafür sorgen. Nach dem, was mit dem Wachmann passiert ist …« Er hielt inne.
»Wir müssen diese Information unter Verschluss halten.«
»Es könnte für uns von Nutzen sein, eine Polizistin da drin zu haben«, meinte Hayder.
»Wie bitte?«, rief Maura, entsetzt, dass Hayder so etwas in Gabriels Gegenwart zu sagen wagte.
»Detective Rizzoli ist nicht auf den Kopf gefallen. Und sie kann mit einer Waffe umgehen. Sie könnte den Ausgang dieser Geschichte entscheidend beeinflussen.«
»Sie ist auch im neunten Monat schwanger und könnte jeden Moment niederkommen. Was genau erwarten Sie eigentlich von ihr?«
»Ich sage nur, dass sie wie eine Polizistin denkt, und das ist gut.«
»Im Augenblick«, entgegnete Gabriel, »wünsche ich mir, dass meine Frau nur an eines denkt: an ihr Überleben. Ich will sie lebend und wohlbehalten wiederhaben. Also setzen Sie lieber nicht darauf, dass sie die Heldin spielt, sondern sehen Sie verdammt noch mal zu, dass Sie sie da rausholen.«
»Wir werden nichts tun, was Ihre Frau gefährden könnte, Agent Dean«, sagte Stillman. »Das verspreche ich Ihnen.«
»Wer ist diese Geiselnehmerin?«
»Wir arbeiten noch daran, sie zu identifizieren.«
»Und was will sie?«
Hayder unterbrach die beiden: »Vielleicht sollten Agent Dean und Dr. Isles den Container jetzt verlassen und uns unsere Arbeit machen lassen.«
»Nein, es ist schon okay«, sagte Stillman. »Er muss Bescheid wissen. Selbstverständlich muss er Bescheid wissen.« Er sah Gabriel an. »Wir gehen die Sache ganz bedächtig an. Wir geben ihr eine Chance, sich zu beruhigen und mit uns ins Gespräch zu kommen. Solange niemand verletzt wird, bleibt uns noch Zeit.«
Gabriel nickte. »So muss man an die Sache herangehen. Keine Schießereien, kein Sturmangriff. Sorgen Sie einfach nur dafür, dass alle am Leben bleiben.«
»Captain, wir haben die Liste«, rief Emerton. »Die Namen der Mitarbeiter und Patienten, die noch vermisst werden.«
Stillman riss den Bogen an sich, den der Drucker gerade ausgespuckt hatte, und überflog die
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