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Scheintot

Scheintot

Titel: Scheintot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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das, wofür sie bezahlt haben, und sie sind erst zufrieden, als ich schreie, als mein Gesicht von Schweiß und Tränen überströmt ist.
O Anja, du Glückliche – du bist wenigstens schon tot!
    Als es vorbei ist und ich in unser Zimmer zurückhumple, setzt sich Olena zu mir aufs Bett und streicht mir übers Haar. »Du musst jetzt etwas essen«, sagt sie.
    Ich schüttle den Kopf. »Ich will nur sterben.«
    »Wenn du stirbst, haben sie gewonnen. Wir dürfen sie nicht gewinnen lassen.«
    »Sie haben schon gewonnen.« Ich drehe mich auf die Seite und ziehe die Knie an die Brust, rolle mich zu einem festen Knäuel zusammen, das nichts und niemand durchdringen kann. »Sie haben schon gewonnen …«
    »Mila, sieh mich an. Glaubst du, dass ich aufgegeben habe? Glaubst du, dass ich schon tot bin?«
    Ich wische mir die Tränen aus dem Gesicht. »Ich bin nicht so stark wie du.«
    »Es ist nicht die Stärke, Mila. Es ist der Hass. Er ist es, der dich am Leben hält.« Sie beugt sich über mich, und ihre langen Haare sind ein Wasserfall aus schwarzer Seide. Was ich in ihren Augen sehe, macht mir Angst. Ein Feuer brennt darin. Sie ist nicht ganz bei Sinnen. So hält sich Olena am Leben: mit Drogen und Wahnsinn.
    Die Tür geht wieder auf, und wir weichen alle ängstlich zurück, als die Mutter sich im Zimmer umsieht. Sie deutet auf eines der Mädchen. »Du, Katya. Der da ist für dich.«
    Katya starrt sie nur an und rührt sich nicht vom Fleck.
    Mit zwei Schritten ist die Mutter bei ihr und versetzt ihr eine Ohrfeige. »Geh«, befiehlt sie, und Katya stolpert aus dem Zimmer. Die Mutter schließt die Tür ab.
    »Denkt dran, Mila«, flüstert Olena. »Denk dran, was dich am Leben hält.«
    Ich schaue ihr in die Augen, und ich sehe es.
Hass.

10
    »Wir dürfen diese Information nicht nach außen dringen lassen«, sagte Gabriel. »Das könnte ihren Tod bedeuten.«
    Detective Barry Frost von der Mordkommission sah ihn nur betroffen an. Sie standen auf dem Parkplatz des Sunrise Yachtclubs. Kein Lüftchen wehte, und draußen auf der Hingham Bay trieben die Segelboote träge im Wasser. In der brennenden Nachmittagssonne klebten dünne, schweißnasse Strähnchen von Frosts Haar an seiner blassen Stirn. In einem Raum voller Menschen war Barry Frost unweigerlich derjenige, den man am ehesten übersah; derjenige, der sich still in eine Ecke zurückzog, wo er dann unbemerkt stand und in sich hineinlächelte. Seine nüchterne, ruhige Art hatte ihm geholfen, so manche Turbulenzen in seiner Zusammenarbeit mit Jane unbeschadet zu überstehen, und ihre nunmehr schon zweieinhalb Jahre währende Partnerschaft wurzelte inzwischen fest in gegenseitigem Vertrauen. Und nun standen die zwei Männer, die Jane am nächsten standen – ihr Ehemann und ihr Partner –, einander in geteilter Sorge gegenüber.
    »Niemand hat uns gesagt, dass sie da drin ist«, murmelte Frost. »Wir hatten doch keine Ahnung.«
    »Wir dürfen nicht zulassen, dass die Medien es erfahren.«
    Frost stöhnte entsetzt auf. »Das wäre eine Katastrophe.«
    »Sagen Sie mir, wer diese ›Jane Doe‹ ist. Erzählen Sie mir alles, was Sie wissen.«
    »Glauben Sie mir, wir werden alle Hebel in Bewegung setzen. Sie müssen uns vertrauen.«
    »Ich kann nicht einfach dasitzen und die Hände in den Schoß legen. Ich muss alles wissen.«
    »Sie können nicht objektiv sein. Es geht schließlich um Ihre Frau.«
    »Genau. Sie ist meine
Frau.
« Ein Anflug von Panik hatte sich in Gabriels Stimme eingeschlichen. Er hielt inne, um zu versuchen, seiner Erregung Herr zu werden, und fuhr dann etwas ruhiger fort: »Was würden Sie tun, wenn es Alice wäre, die da drin gefangen gehalten würde?«
    Frost betrachtete ihn einen Moment lang schweigend. Schließlich nickte er. »Kommen Sie rein. Wir unterhalten uns gerade mit dem Präsidenten des Clubs. Er hat sie aus dem Wasser gefischt.«
    Aus dem gleißenden Sonnenschein traten sie in das kühle Halbdunkel des Clubgebäudes. Drinnen roch es wie in jeder Hafenbar, die Gabriel in seinem Leben betreten hatte: eine Mischung aus würziger Seeluft, Zitrusaroma und Alkohol. Das Clubheim war eine recht windige Konstruktion, errichtet auf einem hölzernen Pier mit Blick über die Hingham Bay. Zwei tragbare Klimaanlagen, die in den Fenstern vor sich hin ratterten, übertönten das Gläserklirren und das gedämpfte Gemurmel der Gäste. Der Bretterboden knarrte, als die beiden Männer in Richtung Bar gingen.
    Gabriel kannte die beiden Detectives vom Boston PD, die an

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