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Scheintot

Scheintot

Titel: Scheintot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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Gabriel Moore auf.
    »Ich gehe gleich mal zum letzten Bild …«
    »Ich will sie alle sehen.«
    Moore hielt inne, den Finger über der Maustaste. Er sah Gabriel an. »Das müssen Sie nicht unbedingt sehen«, sagte er leise.
    »Vielleicht doch. Zeigen Sie mir die ganze Sequenz.«
    Nach einigem Zögern klickte Moore mit der Maus das nächste Foto an. Der Polizeibeamte stand jetzt an Rokes Fenster und blickte zu dem Mann hinein, der in den nächsten Sekunden seinem Leben ein Ende setzen würde. Die Hand des Polizisten ruhte auf seiner Waffe. Nur eine Vorsichtsmaßnahme? Oder ahnte er schon, dass er in das Gesicht seines Mörders blickte?
    Wieder zögerte Moore, bevor er zum nächsten Bild weiterklickte. Er hatte die Aufnahmen schon gesehen und wusste, welche Schrecken das Video noch bereithielt. Er drückte die Maustaste.
    Das Bild war ein Stück geronnener Zeit, erfasst in allen grässlichen Details. Der Polizeibeamte stand noch, seine Waffe steckte nicht mehr im Holster. Die Wucht des Geschosses hatte seinen Kopf nach hinten gerissen, und sein Gesicht war im Moment der Auflösung festgehalten, in dem Augenblick, als die Kugel es in einen blutigen Nebel aus Fleisch- und Knochenfetzen verwandelte.
    Ein viertes Foto schloss die Sequenz ab. Der tote Polizeibeamte lag nun neben dem Wagen des Schützen auf der Straße. Dieses Bild war im Grunde nur ein Anhängsel, doch es war dasjenige, das Gabriel veranlasste, sich plötzlich vorzubeugen. Sein Blick heftete sich auf das Heckfenster des Wagens. Auf eine Silhouette, die auf den anderen drei Bildern nicht zu sehen gewesen war.
    Maura sah es ebenfalls. »Da sitzt jemand im Fond von Rokes Wagen«, sagte sie.
    »Das ist es, was ich Ihnen beiden zeigen wollte«, erwiderte Moore. »In Rokes Wagen befand sich noch eine dritte Person. Vielleicht hatte sie sich versteckt, vielleicht hatte sie auf der Rückbank geschlafen. Man kann nicht erkennen, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt. Man sieht lediglich den Kopf einer Person mit kurzen Haaren, der gleich nach dem Schuss auftaucht.« Er sah Gabriel an. »Es gibt also einen dritten Komplizen, von dem wir bisher noch nichts gesehen oder gehört haben. Jemand, der – oder die – mit den beiden in New Haven war. Der Aktivierungscode könnte an mehr als nur eine Person gerichtet gewesen sein.«
    Gabriel fixierte immer noch den Monitor. Und diese rätselhafte Silhouette. »Sie sagten, es existiert eine Militärakte über ihn.«
    »So sind wir an seine Fingerabdrücke gekommen. Er hat in der Army gedient, von 1990 bis 92.«
    »Welche Einheit?« Als Moore nicht sofort antwortete, sah Gabriel ihm in die Augen. »Welche Ausbildung hat er?«
    »Er war beim Munitionsräumdienst.«
    »Bomben?«, fragte Maura. Sie sah Moore erschrocken an.
    »Wenn er weiß, wie man sie entschärft, dann weiß er wahrscheinlich auch, wie man sie baut.«
    »Sie sagten, er habe nur zwei Jahre gedient.« Seine eigene Stimme kam ihm geradezu unheimlich ruhig vor. Die Stimme eines kaltblütigen Fremden.
    »Er hatte … Probleme. Es war während eines Auslandseinsatzes in Kuwait«, sagte Moore. »Roke wurde unehrenhaft entlassen.«
    »Weswegen?«
    »Befehlsverweigerung. Tätlicher Angriff auf einen Offizier. Wiederholte Streitigkeiten mit anderen Soldaten in seiner Einheit. Man befürchtete, er könnte psychisch labil sein. Es hieß, er leide möglicherweise unter Paranoia.«
    Moores Worte hatten Gabriel getroffen wie eine Serie von Faustschlägen, die ihm die Luft aus den Lungen hämmerten. »Mein Gott«, murmelte er. »Das ändert alles.«
    »Wie meinen Sie das?«, fragte Maura.
    Er sah sie an. »Wir dürfen nicht noch mehr Zeit verlieren. Wir müssen sie sofort da rausholen!«
    »Und was ist mit den Verhandlungen? Was ist mit der Verlangsamungstaktik?«
    »Die greift hier nicht. Dieser Mann ist nicht nur psychisch labil, er hat auch schon einen Polizisten auf dem Gewissen.«
    »Er weiß nicht, dass Jane Polizistin ist«, wandte Moore ein. »Und wir werden auch zu verhindern wissen, dass er es erfährt. Hören Sie, hier gelten die gleichen Grundregeln wie sonst auch. Je länger eine Geiselnahme sich hinzieht, desto wahrscheinlicher wird es, dass sie unblutig endet. Es lohnt sich immer zu verhandeln.«
    Gabriel deutete auf den Laptop. »Wie zum Teufel verhandelt man mit einem, der zu so etwas fähig ist?«
    »Es ist möglich. Es muss möglich sein.«
    »Es ist ja auch nicht Ihre Frau da drin!« Er bemerkte Mauras erschrockenen Blick und wandte sich ab, um

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