Scheintot
Fassung ringend.
Es war Moore, der als Nächster sprach; seine Stimme war ruhig, ja sanft. »Was Sie jetzt empfinden – was Sie in diesem Moment durchmachen –, das habe ich am eigenen Leib erlebt. Ich weiß genau, womit Sie jetzt konfrontiert sind. Vor zwei Jahren wurde Catherine, meine Frau, entführt – von einem Mann, an den Sie sich vielleicht noch erinnern. Warren Hoyt.«
Der Chirurg. Natürlich erinnerte sich Gabriel an ihn. An den Mann, der sich nachts in Häuser geschlichen hatte, in denen Frauen allein schliefen. Sie waren aufgewacht und hatten ein Monster in ihrem Schlafzimmer vorgefunden. Es waren Hoyts Verbrechen und ihre Folgen gewesen, die Gabriel vor einem Jahr nach Boston geführt hatten. Der Chirurg war, wie ihm nun plötzlich klar wurde, das gemeinsame Element, das sie alle miteinander verband. Moore und Gabriel, Jane und Maura. Sie waren alle auf die eine oder andere Weise mit dieser Inkarnation des Bösen in Berührung gekommen.
»Ich wusste, dass Hoyt sie in seiner Gewalt hatte«, sagte Moore. »Und ich konnte nichts tun. Ich wusste einfach nicht, wie ich ihr helfen sollte. Wenn ich mein Leben im Tausch gegen ihres hätte opfern können, ich hätte es getan, ohne eine Sekunde zu zögern. Doch es blieb mir nichts anders übrig, als abzuwarten und die Stunden zu zählen. Das Schlimmste war, dass ich
wusste,
was er mit ihr machen würde. Ich war bei den Autopsien der anderen Opfer dabei gewesen. Ich sah jeden Schnitt seines Skalpells vor mir. Und Sie können mir glauben, dass ich alles Menschenmögliche tun werde, um Jane lebend dort herauszuholen. Nicht nur, weil sie meine Kollegin ist oder weil sie mit Ihnen verheiratet ist. Sondern weil ich ihr mein Glück verdanke. Sie war es, die Catherine damals fand. Jane hat ihr das Leben gerettet.«
Endlich sah Gabriel ihm in die Augen. »Wie sollen wir mit diesen Leuten verhandeln?«
»Wir müssen herausfinden, was sie eigentlich wollen. Sie wissen, dass sie in der Falle sitzen. Sie haben keine andere Wahl, als mit uns zu reden, also reden wir weiter mit ihnen. Sie haben schon andere Geiselnahmen miterlebt, Agent Dean, also kennen Sie die Regeln, an die sich ein Unterhändler halten muss. Die Regeln bleiben die gleichen, auch wenn Sie nun auf der anderen Seite stehen. Sie müssen Ihre Frau – und Ihre eigenen Gefühle – aus der Gleichung heraushalten.«
»Könnten Sie das?«
Moores Schweigen war Antwort genug. Natürlich könnte er das nicht.
Und ich kann es genauso wenig.
13
Mila
Heute Abend gehen wir auf eine Party.
Die Mutter sagt, dass wichtige Leute dort sein werden und wir uns besonders hübsch machen müssen. Sie hat uns extra für diesen Anlass neue Sachen zum Anziehen gegeben. Ich trage ein schwarzes Samtkleid, das an den Beinen so eng ist, dass ich kaum gehen kann, und ich muss den Saum bis zur Hüfte hochziehen, um in den Bus klettern zu können. Die anderen Mädchen steigen neben mir ein, ich höre Seide und Satin rascheln, und eine wilde Mischung von Parfumdüften steigt mir in die Nase. Wir haben Stunden am Schminktisch zugebracht, haben Cremes und Lippenstift und Mascara aufgelegt, und jetzt sitzen wir da wie maskierte Puppen oder wie Schauspieler in einem japanischen Kabuki-Theater. Nichts an uns ist echt. Weder die Wimpern noch die roten Lippen oder die rosigen Wangen. Im Bus ist es kalt, und wir schmiegen uns zitternd aneinander, während wir auf Olena warten.
Der amerikanische Fahrer ruft zum Fenster hinaus, dass wir jetzt losfahren müssen, wenn wir uns nicht verspäten wollen. Endlich kommt die Mutter aus dem Haus und zerrt Olena hinter sich her. Olena reißt sich wütend los und geht den Rest des Weges allein. Sie trägt ein langes grünes Seidenkleid mit einem hohen chinesischen Kragen und einem Schlitz in der Seite bis hinauf zum Oberschenkel. Ihr schwarzes Haar fällt glatt und glänzend auf ihre Schultern. Ich habe noch nie ein so schönes Wesen gesehen, und ich starre sie an, als sie auf den Bus zukommt. Die Drogen haben sie ruhiger gemacht, wie üblich; sie haben sie gefügig gemacht, aber auch unsicher in ihren Bewegungen, und sie wankt leicht in ihren hochhackigen Schuhen.
»Los, einsteigen!«, befiehlt der Fahrer.
Die Mutter muss Olena in den Bus helfen. Olena rutscht auf den Sitz vor mir und lässt sich sofort gegen das Fenster sinken. Die Mutter schlägt die Schiebetür zu und steigt neben dem Fahrer sein.
»Wurde aber auch langsam Zeit«, sagt der, und dann fahren wir los und lassen das Haus
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