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Scheintot

Scheintot

Titel: Scheintot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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wenn es nicht so wäre.
    Oder!
    Gabriel ließ sich auf die Couch in Mauras Büro sinken und vergrub den Kopf in den Händen. Er überlegte krampfhaft, was er noch tun könnte, doch die Angst trübte jeden logischen Gedanken. Bei den Marines hatte er nie die Nerven verloren, wenn sie unter Beschuss geraten waren. Jetzt gelang es ihm nicht einmal, sich zu konzentrieren und das Bild aus seinem Kopf zu verbannen, das ihn seit der Obduktion verfolgte – das Bild einer anderen Leiche, die er dort auf dem Tisch liegen sah.
    Habe ich dir je gesagt, wie sehr ich dich liebe!
    Er hörte nicht, wie die Tür aufging. Erst als Maura sich auf den Stuhl gegenüber setzte und zwei Kaffeebecher auf den Couchtisch stellte, hob er endlich den Kopf. Sie ist immer so beherrscht, immer ganz souverän, dachte er, als er Maura ansah. So ganz anders als seine ungestüme und temperamentvolle Frau. Zwei so unterschiedliche Frauen, und doch war zwischen ihnen eine Freundschaft gewachsen, die ihm immer noch ein Rätsel war.
    Maura deutete auf den Kaffee. »Du nimmst ihn doch schwarz, nicht wahr?«
    »Ja. Danke.« Er trank einen kleinen Schluck und setzte den Becher gleich wieder ab, weil er eigentlich gar keinen Kaffee gewollt hatte.
    »Hast du schon zu Mittag gegessen?«
    Er rieb sich das Gesicht. »Ich bin nicht hungrig.«
    »Du siehst erschöpft aus. Ich hole dir eine Decke, falls du dich hier ein bisschen ausruhen möchtest.«
    »Ich kann unmöglich schlafen. Nicht, bis wir sie heil da rausgeholt haben.«
    »Hast du Janes Eltern erreicht?«
    »O Gott.« Er schüttelte den Kopf. »Das war vielleicht eine Tortur. Das Schwierigste war, ihnen klar zu machen, dass sie es für sich behalten müssen. Sie dürfen sich hier nicht blicken lassen, und sie dürfen ihre Freunde nicht anrufen. Ich frage mich allmählich schon, ob ich es ihnen nicht besser verschwiegen hätte.«
    »Die Rizzolis würden auf jeden Fall Bescheid wissen wollen.«
    »Aber sie sind nicht gut darin, Geheimnisse zu bewahren. Und wenn das hier rauskommt, könnte es ihre Tochter das Leben kosten.«
    Sie saßen sich einen Moment lang schweigend gegenüber. Das einzige Geräusch war das Zischen der Luft aus der Klimaanlage. An der Wand hinter dem Schreibtisch hingen geschmackvoll gerahmte Drucke mit Blumenmotiven. Das Büro war ein Spiegelbild der Frau, die darin arbeitete: ordentlich, korrekt, rational.
    Mit ruhiger Stimme sagte sie: »Jane lässt sich nicht so leicht unterkriegen. Das wissen wir beide. Sie wird alles tun, was es braucht, um zu überleben.«
    »Ich will nur, dass sie sich aus der Schusslinie heraushält.«
    »Sie ist ja nicht dumm.«
    »Das Problem ist, dass sie Polizistin ist.«
    »Ist das nicht ein Vorteil?«
    »Wie viele Cops kommen bei dem Versuch ums Leben, den Helden zu spielen?«
    »Sie ist schwanger. Sie wird kein Risiko eingehen.«
    »Nicht?« Er sah sie an. »Weißt du, wie es dazu kam, dass sie heute Morgen ins Krankenhaus eingeliefert werden musste? Sie sagte gerade vor Gericht aus, als der Angeklagte plötzlich zu randalieren begann. Und meine Frau – meine
fantastische
Frau – stürzte sich ins Getümmel, um ihn zu überwältigen. Und dabei ist ihre Fruchtblase geplatzt.«
    Maura schüttelte den Kopf. »Das hat sie wirklich getan?«
    »Das ist genau die Reaktion, die man von Jane erwarten würde.«
    »Da hast du wohl Recht«, meinte Maura. »Das ist die Jane, die wir beide kennen und lieben.«
    »In diesem Fall – nur dieses eine Mal – will ich, dass sie den Feigling spielt. Ich will, dass sie vergisst, dass sie Polizistin ist.« Er lachte. »Als ob sie je auf mich hören würde.«
    Jetzt musste Maura ebenfalls lächeln. »Ist das überhaupt schon mal vorgekommen?«
    Er sah sie an. »Du weißt doch, wie wir uns kennen gelernt haben, nicht wahr?«
    »War das nicht in Stony Brook Reservation?«
    »Diese Skelettfunde. Es dauerte ungefähr dreißig Sekunden, bis wir uns zum ersten Mal in die Haare kriegten. Und fünf Minuten, bis sie mir erklärte, ich solle mich nicht in ihre Ermittlungen einmischen.«
    »Kein sehr viel versprechender Auftakt.«
    »Und ein paar Tage später zieht sie die Waffe gegen mich.«
    Als er Mauras erschrockenen Blick sah, fügte er hinzu: »Oh, es war durchaus gerechtfertigt.«
    »Schon erstaunlich, dass das alles dich nicht abgeschreckt hat.«
    »Sie kann einen schon das Fürchten lehren.«
    »Und du bist vielleicht der einzige Mann, dem sie keine Angst einjagt.«
    »Aber das war es ja gerade, was mir an ihr so gefiel«,

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