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Scheisskerle - Warum es immer die Falschen sind

Titel: Scheisskerle - Warum es immer die Falschen sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman Maria Koidl
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seine Aufmerksamkeit zu buhlen, schlugen für Christin fehl. Hermann hatte seine Tochter vergessen. Es war das väterliche Desinteresse, seine unbeschreibliche Gleichgültigkeit, was Christin einen lebenslangen Schaden zufügte. Das Drama, das Kinder durchleiden, könnte nicht größer sein. Die fortwährende gleichgültige »Nichtbeantwortung« oder gar Zurückweisung der eigenen Person wird als Mangel, als Fehler wahrgenommen. Jedoch kann das Kind den Fehler nicht dem Vater zuordnen, sondern bezieht ihn auf sich selbst, speichert diese Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht in seinem Selbstbild. Früh prägt sich in jeder Faser des kleinen Körpers ein: »Ich binfehlerhaft, mit mir stimmt etwas nicht, ich genüge nicht.« Unendlich brennt der Schmerz darüber, die Liebe zum Vater nicht beantwortet zu bekommen, die fortwährende Hoffnung auf eine Reaktion, auf ein Zeichen des Vaters nicht erfüllt zu bekommen.
    Es war dieses Gefühl, das in Christin hochkam, wenn sie meint, winzigste Anzeichen im Verhalten von Klaus zu erkennen, die auf ein Verlassenwerden oder, schlimmer noch, auf sein Desinteresse hindeuteten. Sie horchte in ihn hinein, interpretierte kleinste Äußerungen und Begebenheiten. Ihre Konzentration auf Klaus und das, was er als Nächstes sagen und tun könnte, wurde zu einer allumfassenden Fixierung. Durch die frühkindliche Prägung war Christin zudem von ihren eigenen Gefühlen teilweise so abgeschnitten, dass sie sich voll und ganz auf die Bedürfnisbefriedigung von Klaus konzentrierte. Der in ihrem Leben abwesende und unaufmerksame Vater machte Christin in gewisser Weise willenlos und erzeugte die für sie selbst verhängnisvolle Bereitschaft, alle Forderungen und Erwartungen erfüllen zu wollen, die später von Männern an sie gestellt wurden. Christin entwickelte in ihrer Sexualität schon früh eine Kompensation, eine submissiv-masochistische Erlebniswelt, die die vollständige Fixierung auf ein Liebesobjekt formalisiert und sich diesem bedingungslos unterwirft. Sobald Klaus also etwas Unbedachtes sagte oder tat, war Christins ohnehin fragiles Vertrauen zutiefst erschüttert.
    Ein Knopfdruck auf einen für Klaus nicht erkennbaren Auslöser genügte, und die ganze Kindertraurigkeit warwieder da. Als Frau, die sich in hohem Maße selbst reflektiert, wusste sie, dass sie nicht jedes Mal damit zu ihm gehen konnte. Außerdem waren Klaus’ Reaktionen voller Unverständnis und pauschaler Zurückweisung, die sie nicht ertragen konnte. Wahlweise genervt oder aufgebracht, kam dann: »Ach, Süße, das ist doch nun wirklich übertrieben.« Vorgetragen mit rollenden Augen und einem Gesichtsausdruck, als hätte Christin nicht alle Tassen im Schrank. Teilweise wurden sie beide in diesen Situationen so aggressiv, dass es sie zutiefst verstörte. Es waren Stunden, in denen sie beide das Gefühl hatten, von einer fremden Hand gelenkt, von einem versteckten Programm gesteuert und zu Handlungen veranlasst zu werden, die nicht zu ihnen gehörten.
    Christin hatte zunehmend Angst vor diesen Situationen und den schrecklichen Gefühlen, die immer und immer wieder in ihr hochkamen. Sie schrumpfte dann unter dem Einfluss von Klaus’ glatter und kaum zu überbietender Rhetorik auf die Größe des fünfjährigen Mädchens, sie fiel zurück in jenes Alter, in dem sie ihre eigentliche Verletzung durch ihren Vater erfahren hatte. Zitternd und voller Tränen rollte sie sich nachts in ihrem Bett zusammen. Sie fühlte sich dann alleingelassen und einsam, erfüllt von Hoffnungslosigkeit und der völligen Aussichtslosigkeit, an die Gefühle jenes Mannes heranzukommen, von dem sie die ihren so gern beantwortet gewusst hätte. Dennoch war sie am Tag nach solchen Auseinandersetzungen guter Dinge und in der Lage, ihr Leben zu meistern. Sogar besser denn je, stellte sie fest. Die Konzentrationauf den Schmerz kumulierte in einem Punkt, der sie energetisch zum Sprung ansetzen ließ, zumindest in Dingen der Karriere. Im Beruf war sie äußerst geschätzt und hochkompetent. Niemand konnte vermuten, welche Qualen sie in der Nacht durchlitten hatte und wie lange ihr diese Gefühle noch nachgingen.
    Es war die väterliche Hypothek, die sie mit sich herumschleppte. Eine Art Grundschuld auf einem Beziehungsgrundstück, von dem Klaus keine Ahnung hatte. Das hinderte die beiden daran, so ohne weiteres ein gemeinsames Haus der Gefühle auf ihre Beziehung bauen zu können. Klaus bemerkte wohl, dass das Fundament nicht solide stand. Es brach immer

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