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Schenk mir deinen Atem, Engel ...

Schenk mir deinen Atem, Engel ...

Titel: Schenk mir deinen Atem, Engel ... Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dana Kilborne
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und vermutlich nie zurückkommen würde?
    Liebe Mom, lieber Dad, lieber Will,
    bitte seid mir nicht böse, aber ich muss gehen. Sucht nicht nach mir.
    Vielleicht sehen wir uns eines Tages wieder.
    Ich liebe euch
    Faith
    Sie ließ den Stift sinken und las noch einmal, was sie geschrieben hatte. Dann wandte sie sich wieder Jake zu.
    „Werde ich sie je wiedersehen?“, fragte sie zweifelnd.
    Eine Antwort blieb er ihr schuldig.
    Der Treffpunkt war ein alter, längst aufgegebener Güterbahnhof in der Nähe von Eastbourne. Jake hatte einen Wagen aufgetrieben – was im Klartext bedeutete, dass er ihn gestohlen hatte. Doch das sagte er Faith nicht. Ebenso wie er ihr die Tatsache verschwieg, dass die Person, der das Auto gehörte, es nicht vermissen würde. Sie war vor ein paar Tagen nach langer Krankheit gestorben.
    Er konnte solche Dinge immer noch spüren. Es war wie eine Aura, die jeder Mensch besaß – und die er an jedes Tier, jede Pflanze und jeden Gegenstand weitergab, mit dem er in Berührung kam. Sie umgab die Dinge. Strahlend und kräftig, wenn der Besitzer gesund und wohlbehalten war, schwächer bei kranken Menschen – und sie verlosch ganz, sobald jemand gestorben war.
    Faith saß neben ihm auf dem Beifahrersitz und starrte ins Leere. Sie grübelte. Er konnte es sehen, aber er fühlte es auch. Ihr Geist schien auf eine seltsame, vollkommen instinktive Weise mit seinem zu kommunizieren. Manchmal nahm er es als Bilder in seinem Kopf wahr, manchmal war es wie ein fernes Summen oder ein unangenehmes Kribbeln in der Magengegend.
    Seufzend fuhr er sich mit einer Hand durchs Haar. Es war irritierend, einem von ihnen so nah zu sein.
    Bis vor Kurzem hatte er für die Menschen nur Abscheu übrig gehabt. Für alle Menschen, denn seiner Erfahrung nach hatten die meisten nichts besseres zu tun als sich gegenseitig zu quälen und umzubringen. Doch nun, da er Faith kannte … Etwas hatte sich verändert. Er konnte es sich nicht erklären, aber durch sie war sein Blick auf die Dinge ein anderer geworden. Er hatte begriffen, dass nicht alle Menschen gleich waren. Es gab die, die böse Dinge taten oder andere zwangen, Böses zu tun. Derlei war ihm nicht unbekannt. Auch unter den Angeli gab es die, die der anderen Seite verfielen.
    Gefallene Engel.
    Aus dem Elysium verbannt, so wie er. Nur aus anderen, schlimmeren Gründen. Allerdings fragte er sich in letzter Zeit immer häufiger, ob es tatsächlich etwas Schlimmeres gab als einen Schutzengel, der seiner Aufgabe nicht gewissenhaft nachkam.
    Draußen war es stockfinster. Das Licht der Sterne reichte nicht aus, um die Nacht zu erhellen. Durch die staubige Frontscheibe schaute Jake zum Himmel. Sein Blick suchte eine bestimmte Sternkonstellation. Ursa Minor , auch Kleiner Bär genannt, dessen Hauptstern – der Polarstern – besonders hell und strahlend leuchtete. Es hatte ihn schon immer beruhigt, die Sterne anzusehen. Sie waren die Konstante in einem Dasein, das von ständigem Wandel bestimmt wurde.
    „Wie lange wird es noch dauern?“, durchbrach Faiths Stimme die Stille.
    Er konnte an ihrem Klang hören, dass sie keineswegs erwartungsvoll war, eher furchtsam, da der Moment der Wahrheit näher rückte.
    Nur mit Mühe unterdrückte er ein tiefes Seufzen. Seit sie in Brighton aufgebrochen waren, focht er einen inneren Kampf mit sich selbst aus. Und mit jeder Minute, die seitdem verstrichen war, hatte seine Anspannung zugenommen.
    Er wollte ihnen Faith nicht ausliefern.
    Natürlich war ihm klar, dass ihm im Grunde keine andere Wahl blieb. Die Angeli hatten seine Aufgabe klar umrissen. Er fand die reine Seele, brachte sie zum Treffpunkt und erhielt zum Dank seine Belohnung.
    Damit endete ihr Deal, und alle gingen wieder ihrer Wege.
    Alle, außer Faith.
    Was würde aus ihr werden?
    Niemand hatte sich die Mühe gemacht, ihn darüber zu informieren. Und er hatte nie auch nur einen Gedanken daran verschwendet, danach zu fragen. Wozu auch? Sie war ein Mensch! Nicht der Mühe wert, über ihr Schicksal nachzugrübeln.
    So zumindest hatte er es noch vor ein paar Tagen gesehen. Doch inzwischen lagen die Dinge ein wenig anders. Er wusste nicht, wie er dieses ungewohnte Gefühl beschreiben sollte, das Faith in ihm auslöste. Anders als allgemein angenommen wurde, waren Angeli nicht besonders gut in solchen Dingen. Die einzige Liebe, die sie kannten, war die zum Allmächtigen. So wurden sie erzogen.
    Jetzt, zum ersten Mal im Laufe der Jahrhunderte seiner Existenz, war ihm jedoch klar

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