Schenk mir diese Nacht
ihn lächelnd. "Gaye wird ja ganz rot."
In der Tat. Sie hatte Jonathan, einem Impuls folgend, geküsst und dabei völlig vergessen, dass sie Publikum hatten.
Geschickt lenkte Jonathan von Gaye ab. "Benjamin?"
Sie war ihm für diese Atempause überaus dankbar. Was, um alles in der Welt, war nur in sie gefahren? Noch vor wenigen Minuten hatte sie der Gedanke, sie könnte sich in diesen Mann verliebt haben, in Panik versetzt, und nun hatte sie ihn sogar geküsst!
"Ich mag es nicht, wenn man Namen abkürzt, Jonathan", erläuterte Ben. "Ich habe stets darauf bestanden, mit meinem vollen Namen angesprochen zu werden und erweise
selbstverständlich anderen Menschen die gleiche Höflichkeit."
Ben schlug Jonathan freundschaftlich auf die Schulter.
"Marilyn zieht es vor, mich Benjamin zu nennen. Sagtest du etwas, Jonathan?" erkundigte er sich, als Jonathan etwas vor sich hin murmelte.
"Nichts von Bedeutung", entgegnete dieser rasch.
Gaye wandte sich ab, um ihr Lächeln zu verbergen. Da sie näher bei Jonathan stand als die anderen beiden, hatte sie seine leise Bemerkung gehört: Marilyn dürfte dich sogar Fido nennen!
Jonathan hatte vermutlich Recht. Ihre Mutter übte auf Männer jeden Alters diese betörende Wirkung aus.
"Was machen Sie beruflich, Benjamin?" Interessiert schaute Marilyn den Gast an.
Gaye erschrak. Mit dieser Frage hatte sie nicht gerechnet. Ein kurzer Seitenblick auf Jonathan zeigte ihr, dass auch er darauf nicht vorbereitet gewesen war.
Ben hingegen schien nicht im Mindesten überrascht zu sein.
"Ach Marilyn ... Sehen Sie sich mein weißes Haar an. Mache ich auf Sie den Eindruck, als würde ich noch immer arbeiten?"
"Nun, ich weiß nicht recht ..." Sie betrachtete ihn verspanen.
"Es gibt heutzutage viele Berufe, bei denen man keine Altersgrenze kennt. Richter, zum Beispiel."
Ben lachte. "Ich versichere Ihnen, ich bin - und war - kein Richter." Ernst fuhr er fort: "Die Macht, über Leben oder Tod anderer Menschen entscheiden zu können, hat mich nie gereizt."
"Die Todesstrafe wurde abgeschafft, Ben", warf Jonathan trocken ein.
"Das Gefängnis - jede Art von Gefängnis - ist eine Stätte, wo Menschen zugrunde gehen, Jonathan", entgegnete der ältere Mann schroff.
Auch die emotionale Isolation ihrer Mutter war eine Art Gefängnis...
Plötzlich betrachtete Gaye Ben Travis mit anderen Augen und bemerkte um Mund und Nase tiefe Linien, die nicht vom Lachen, sondern vom Kummer herrührten. Sie wünschte auf einmal, sie hätte Jonathan gebeten, ihr mehr über seinen Freund zu erzählen. Offenbar hatte der ältere Mann auch großes Leid erfahren ...
"Wollen wir uns nicht setzen?" schlug sie vor. "Wir sehen aus, als würden wir im Wartezimmer eines Zahnarztes stehen."
"Gütiger Himmel!" Ben schauderte, als alle Platz nahmen -
Gaye und Jonathan auf Sesseln, Marilyn und Ben auf dem Dreisitzer. ,,Es ist zwar nicht sehr männlich, das zuzugeben, aber wenn ein Zahnarzt in meine Nähe kommt ... Vergessen wir's." Der bloße Gedanke daran schien ihm zuwider zu sein.
"Ich wollte damit nur sagen, dass dieser Abend nicht im Entferntesten mit einem Zahnarztbesuch zu vergleichen ist." Er schaute Marilyn bewundernd an.
"Hoffentlich denken Sie nach dem Essen noch genauso", konterte Gayes Mutter schlagfertig.
"Ich bin überzeugt, Sie kochen genauso gut, wie Sie aussehen", meinte Ben galant.
Jonathan stöhnte laut auf. "Funktioniert diese Masche, Ben?"
neckte er den älteren Mann freundschaftlich.
"Woher soll ich das wissen?" Ben zuckte die Schultern. "Ich habe es seit Jahren nicht mehr probiert. Funktioniert sie, Marilyn?" erkundigte er sich schmunzelnd.
Sie beugte sich vor und berührte seine Hand. Ihre
veilchenblauen Augen funkelten amüsiert. "Ich habe keine Ahnung, Benjamin. Es ist auch schon Jahre her, dass ich es probiert habe. Allerdings finde ich Ihre Komplimente sehr charmant."
Fasziniert beobachtete Gaye das Paar. Sie freute sich, dass ihre Mutter den Abend und Bens Gesellschaft genoss. Gaye hatte sie nicht mehr so angeregt gesehen seit... seit dem Tod ihres Vaters!
Dies war eine Komplikation, mit der weder sie noch Jonathan gerechnet hatten.
Durften Patienten sich in ihre Psychiater verlieben? Durch ihre Ausbildung wusste sie, dass so etwas passieren konnte.
Aber so, wie Ben ihre Mutter anhimmelte ... Offenbar hatte sich hier der Psychiater in seine Patientin verliebt!
Das gute Einvernehmen zwischen dem älteren Paar dauerte auch während des Dinners an. Ben ermunterte
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