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Schenkel, Andrea M

Schenkel, Andrea M

Titel: Schenkel, Andrea M Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bunker
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ich muss an so viel denken!«, war sein Spruch, immer wenn’s ans Schenken ging. An meinem Achten aber ging er in den Stall und beim Herauskommen hielt er ein kleines Wollknäuel in der Hand. Es war weich und roch gut. War richtig knuffig, deshalb Knuffi.
    Nach zwei Jahren kam Vater, nahm den Hasen am Genick und sagte: »Jetzt wird’s Zeit, sonst schmeckt er nicht mehr. Komm mit, kannst zuschauen!«
    Ich sagte nichts, wusste, es wird passieren. Knuffi war mein Freund, und Vater wollte ihn schlachten.
    Der alte Dreschflegel lehnte an der Wand. Ich sehe ihn noch vor mir, wie er an der Wand lehnte, ganz verstaubt. Eine Ewigkeit nicht mehr benützt. Ich wollte ihn nehmen und Vater über den Kopf schlagen. Ich stand aber da wie eingefroren, konnte mich nicht bewegen. Stand da und schaute zu.
    Halt still, verdammtes Vieh. Mein Süßer, halt still. Ich halte den Hasen an seinen Löffeln hoch. Meine Handkante saust ins Genick. Kurzes Zappeln, dann hängt er schlaff herunter. Jetzt noch die Schlagader öffnen, das Fell über die Ohren ziehen, Eingeweide raus. Fertig.
    Der Anästhesist wird hinzugerufen. Er bespricht mit dem diensthabenden Chirurgen die Situation. Alles läuft schnell, routiniert, wortlos ab. Jeder im Raum ist an seinem Platz, weiß, was er zu tun hat.
    Die verschmutzte Oberbekleidung wird aufgeschnitten. Der Stauschlauch um den Oberarm befestigt. Die Venen treten hervor. Die Einstichstelle wird mit Alkohol abgetupft. Die Braunüle durch die Oberhaut in die Vene gestoßen. Die Metallnadel mit einer leichten Drehung etwas zurückgezogen. Der Venenkatheter, der die Nadel umhüllt hat, verbleibt in der Vene. Der Trokar wird vollständig herausgezogen. Blut läuft aus der Verweilkanüle, das ist der Beweis, dass die Braunüle richtig sitzt. Der Infusionsschlauch wird angeschlossen, die Infusionslösung tropft schnell in den Kreislauf der verletzten Person.
    Währenddessen wurde der Kopf nach hinten überstreckt. Der Mund geöffnet, der Intubationsspatel eingeführt. Der Spatel drängt die Zunge zur Seite, lädt den Kehldeckel auf. Nun kann der Kehlkopf gut eingesehen werden. Der Tubus wird durch die Stimmlippen hindurch bis in die Luftröhre geschoben, dort geblockt. Der Beatmungsschlauch wird auf den Tubus gesteckt. Verbunden mit dem Narkosegerät atmet der Patient nicht mehr selbstständig. Die Maschine sorgt für eine regelmäßige, tiefe Atmung.
    Der Chirurg hat zeitgleich den mittlerweile nackten Körper untersucht. Er nimmt die letzten noch verbliebenen Wundkompressen ab. Die große Bauchwunde wird sichtbar. Überall verkrustetes Blut. Mit den Händen spreizt der Arzt vorsichtig die Wundränder. Weißgelbliche Fettzellen, dazwischen glänzendes Gewebe. »So ein Mist, Kinder! Die Bauchhöhle ist eröffnet. Das wird was Größeres!«
    Im Zimmer ist es auf einmal ganz still. Der Regen hat aufgehört, auf das Dach zu trommeln. Ich stehe auf, gehe hinüber zum Fenster, blicke nach draußen. Der Himmel hat sich etwas aufgeklart. Die Glasscheibe ist blind, der Kitt brüchig. Aus Langeweile versuche ich mit den Fingernägeln, den Kitt aus dem Rahmen zu kratzen, Stückchen für Stückchen. Das Fenster ist ein altes Doppelglasfenster. Im Haus meiner Großmutter waren die Gleichen. In der Mitte konnten sie zum Putzen geöffnet werden. Ein kleiner Haken oben und unten und sie lassen sich teilen. So aufgeklappt fand man in ihnen gegen Ende des Winters immer Marienkäfer, die hier geschützt vor der Kälte auf den Frühling warteten. Ich gehe wieder zurück zum Bett, lasse mich einfach nach hinten auf die Matratze plumpsen, federe kurz nach und bleibe liegen. Ich starre die Decke an. Warte. Nach einer Weile setze ich mich auf, die Knie angewinkelt, die Beine ganz nah an den Oberkörper gepresst, meine Arme um die Unterschenkel geschlungen sitze ich da. Ich fange an, vor mich hin zu summen und im Takt mit meinem Oberkörper zu wippen, es vergehen einige Minuten, ehe ich es bemerke. Mir fallen sofort die Affen im Zoo ein, wie sie, hinter den Glasscheiben sitzend, mit den Oberkörpern hin und her wippen, oder die Raubkatzen in ihren Gehegen, wie sie den ganzen Tag auf und ab laufen, wieder und wieder. Wann werde ich anfangen, im Raum auf und ab zu laufen? Ich höre auf zu wippen, strecke meine Beine wieder gerade aus, mit den Ellenbogen stütze ich mich im Bett ab. Halb sitzend, halb liegend sehe ich mich um, schaue auf den Boden, das Bett, bis mein Blick schließlich an den Zehennägeln hängen bleibt. Meine Nägel sind

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