Schenkel, Andrea M
stammte auch das Gerücht, dass Hans den kleinen Buben nachgestiegen ist. Keine Ahnung, ob da was dran war, aber Gerold hat Hans keine Ruhe gelassen. Immer wieder hat er damit angefangen, hat gestichelt. Vielleicht lag Gerold mit seinen Vermutungen gar nicht so falsch, mit Mädchen hatte Hans auf jeden Fall seine Probleme. Wäre logisch, wenn er sich dann an kleine Jungs rangemacht hätte. Ausschwitzen konnte er es ja nicht.
»Wenn Hans doch mal eine Dumme findet, was fragt er sie in der Hochzeitsnacht?«, war einer von Gerolds Lieblingswitzen. »Na, was meint ihr? Ist doch klar: Wie viele kleine Brüder hast du eigentlich?« Gerold hat sich dann immer ausgeschüttet vor Lachen über seinen eigenen Witz. Wir haben mitgelacht, nicht, weil wir den Witz so gut fanden, jeder von uns war froh, dass Gerold seine Witze nicht auf unsere Kosten gemacht hatte.
Hans hat nicht gelacht, er hat Gerold durch das ganze Dorf gejagt. Auf dem Huber-Hof hat er ihn dann erwischt. Wie wild hat er auf ihn eingedroschen. Wir sind dagestanden, haben zugeschaut und nichts gemacht. Wäre nicht der Huber gekommen, wer weiß, vielleicht hätte Hans Gerold erschlagen, so in Rage, wie er war. Aber auch der Huber hat die beiden zuerst nicht auseinandergebracht. Gerold hat geschrien wie am Spieß. Wie eine Sau, die gerade abgestochen wird. Der Huber ist dann rüber zu seinem Traktor, weil er sich nicht mehr anders zu helfen wusste. Mit dem Heugreifer hat er die beiden getrennt. Mit dem Greifer hat er den Kopf von Hans gepackt. Alles ist ziemlich schnell gegangen. Hans war so außer sich, er hat gar nicht gemerkt, wie der Huber mit dem Traktor gekommen ist. Irgendwie hat er den Kopf von Hans zu fassen gekriegt, ihn eingeklemmt und den Greifer nach oben gezogen. Solange, bis Hans einen halben Meter über dem Boden hing. Hans hatte Gerold immer noch im Schwitzkasten. Ließ ihn nicht los, ließ nie los, wenn er einmal einen in der Mangel hatte. Aber diesmal musste er. So viel Kraft hatte selbst Hans nicht. Wie eine reife Pflaume ist Gerold auf den Boden geklatscht, dabei hat er sich das Bein gebrochen. Hans hat getobt und geflucht, hat sich mit den Händen am Greifer festgekrallt. Über dem Löschteich der Feuerwehr hat ihn Huber dann ins Wasser fallen lassen. Vom Greifer hatte Hans am Kopf zwei stark blutende, längliche Wunden, aber das war ihm egal. Er hat sich im Wasser recht schnell beruhigt. Ist rumgeplanscht wie ein kleines Kind, glücklich, im Mittelpunkt zu stehen. Und wir sind alle um den Teich gestanden und haben gegafft. Den Vorfall hat Hans weggesteckt, als ob nichts gewesen wäre. Nur links und rechts hatte er diese beiden Narben. Sah komisch aus, aber das war, so wie er aussah, auch schon egal. Schlimmere Schäden trug er nicht davon, wahrscheinlich war eh nur Stroh in seinem Kopf.
Halt still, verdammtes Vieh! Zappel nicht so rum. Bleib ruhig, ruhig, mein Schöner. Der Hase liegt auf meinem rechten Unterarm, die Vorderläufe halte ich mit der Hand fest. Die Hinterläufe drücke ich mit meinem Ellenbogen leicht gegen meinen Körper. Meine linke Hand streichelt seinen Kopf. Ganz sanft. Mit den Fingern fahre ich an der Außenseite der Ohren entlang. Vom Kopf hoch zur Spitze. Ich mache das mehrere Male. Der Hase hat seine langen Ohren zuerst ängstlich am Kopf und Hals angelegt, dann entspannen sie sich, stellen sich langsam auf, während ich sie langziehe.
Ja, so ist’s gut, mein Kleiner. Mein Schöner.
Hasen sind schön. Ihr Fell ist wie Menschenhaar. Sie nerven mich nicht durch Gekratze oder Gebell. Sie schmiegen sich an, sind weich und warm.
Knuffi, mein erster Hase, war der Schönste. Vielleicht weil er der erste war. Vielleicht weil ich ihn bekam, nachdem Mutter weg war.
Ich weiß gar nicht, was für eine Rasse. Er war meiner, nur mir gehörte er. Ihm erzählte ich alles. Er hörte immer zu. Sonst war keiner da, der zuhörte. Er durfte abends mit mir ins Bett. Obwohl er oft reingeschissen hat. Das war egal. Vater war es egal, Sauberkeit war nicht sein Ding. Besonders seit wir alleine waren. Fast jeden Abend soff er sich zu, lag total blau auf der Couch. Stank, lag in seiner Kotze, manchmal hatte er sich sogar eingepisst. Oder er fuhr raus in die Mühle, sperrte sich unten im Bunker ein.
Knuffi hat mir Vater zum achten Geburtstag geschenkt. Keiner hatte an meinen Geburtstag gedacht, kein Geschenk, kein Kuchen, keine Kerzen. War ja auch keiner mehr da, der daran hätte denken können.
»Kurzer, ich hab’s wieder vergessen, aber
Weitere Kostenlose Bücher