Schenkel, Andrea M
Seiten. Der Druck auf die Schläfen fühlt sich an, als wäre mein gesamter Schädel in einen Schraubstock eingeklemmt und jemand dreht langsam die Backen zusammen. Bei jeder Augenbewegung, selbst mit geschlossenen Lidern, fängt es zu pochen an. Der ganze Schädel dröhnt. Mir ist schlecht.
Meine Zunge klebt am Gaumen, lässt sich nur schwer mit einem Schnalzen lösen. Ich habe immer noch Durst. Fürchterlichen Durst. Mit der Zunge fahre ich im Mund umher. Erst stochernd, mein Mund wird etwas feuchter, dann bewege ich sie ein paar Mal zwischen Wangen und Kiefer hin und her. Ein fahler, bitterer Geschmack breitet sich im Mund aus. Dazu saures Aufstoßen. Mir ist kotzübel.
Meine Hände pulsieren, nein, toben. Die Finger lassen sich kaum bewegen, wie eingefroren. Sie sind unheimlich schwer. Sie stecken in etwas, es fühlt sich an wie Handschuhe. Was ist los? Ich muss die Augen öffnen. Mach sie auf! Ich weiß, der Kopfschmerz wird mich umbringen, aber ich muss wissen, was mit meinen Händen los ist. War ich gestern betrunken? Ich kann mich an absolut nichts mehr erinnern, Filmriss.
Ich mache die Augen auf. Wieder die Holzdecke, ich liege wieder im Bett in der Mühle. Wieder zugedeckt. Was ist mit meinen Händen? Sie liegen dick mit Verband eingepackt auf der Zudecke.
Ich setze mich auf und starre auf meine Hände. Riesige weiße Christbaumkugeln.
Aufrecht im Bett sitzend nimmt das Pochen in den Händen zu. Sie fühlen sich jetzt furchtbar heiß an. Pulsieren und Hitze werden mit jeder Sekunde schlimmer. Der Verband muss ab, ich halte die Hitze nicht mehr aus!
Verdammt, er lässt sich nicht abstreifen. Mit den Zähnen greife ich das Ende des Pflasters. Ich beginne den Verband von meiner rechten Hand herunterzuziehen. Mensch, wie oft ist der denn noch um meine Hand gewickelt? Der Klebstoff des Pflasters haftet an meinen Lippen. Die Gewebefasern des Verbandes bleiben hängen und verkleistern meine Schneidezähne. Endlich habe ich eine Bahn nach der anderen abgewickelt. Jetzt noch die Watte. Ich versuche sie abzuschütteln, jede Bewegung der Hand tut fürchterlich weh. Ich ziehe die Reste mit den Zähnen herunter. Die Watte bleibt zwischen den Zähnen hängen, ich spucke und pruste. Noch eine weitere Schicht Verband. Je mehr ich den Verband und die Watte entferne, desto stärker riecht es nach Verbranntem. In meinem ganzen Mund breitet sich dieser Geschmack nach Verkohltem aus. Der Verband hat immer mehr schwarze Streifen und Flecken. Die letzten Schichten sind mit rotbraunem Sekret durchtränkt. Ich sehe auf meine Hand. Mir wird wieder übel. Das ist nicht mehr meine Hand, das ist ein Klumpen verkohltes, stinkendes Fleisch.
Ich bin noch nicht beim Haus, da höre ich sie schon toben und schreien. Sie schreit wie ein wildes Tier. Kein Wunder, der Alkohol wirkt nicht mehr, sie hat Schmerzen. Ich renne die letzten Meter zum Haus. Bloß schnell rein, ehe sie völlig durchdreht. Die ist so von der Rolle, am Ende fällt mir die dumme Kuh noch die Treppe runter und bricht sich das Genick. Dann hocke ich voll in der Scheiße! Über die am Boden liegende Holztür, ich rutsche fast aus, kann mich gerade noch fangen. Durch die Metalltür, zur Treppe.
Im Haus ist ihr Gekreische fast unerträglich. Ich hatte die Falltür absichtlich offen gelassen, mit diesen Händen kommt sie die Treppe sowieso nicht herunter. Durch die Luke hängt das abgewickelte Ende des Verbandes. Es reicht fast bis auf den steinernen Sims. Auf der ersten Treppenstufe stehend, schaue ich nach oben.
Sie steht direkt über mir. Ein Bein auf der ersten Stufe. Beide Arme etwas abgespreizt, die Unterarme nach oben gestreckt. Ihre linke Hand steckt noch komplett im weißen Verband. Die Rechte hat sie fast ausgewickelt, nur noch ein kleines Stück Mull klebt daran.
Ich versuche sie zu beruhigen, steige langsam Stufe für Stufe die Treppe nach oben. Die ganze Zeit rede ich beschwichtigend auf sie ein, nicht dass sie wieder völlig ausrastet und womöglich springt. Bei meinen Hasen hilft das immer, es nimmt ihnen die Angst. Auch sie scheint ruhiger zu werden. Sie sieht mich an. Kreidebleich. Ich kann ihr ansehen, wie schlecht es ihr geht. Die Augen sind wieder normal. Die Pupillen nicht mehr so weit wie gestern. Sie schwankt. Scheiße, hoffentlich fällt sie nicht. Wenn sie jetzt fällt, dann auf mich, und mit mir auf den Steinboden.
»Bleib stehen! Ich komme hoch und helfe dir. Ich habe was gegen die Schmerzen. Geh zurück und leg dich aufs Bett! Ich helfe
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