Scherben der Ehre
über Sie urteile?«
»Irgend jemand muss es tun.«
»Es tut mir leid. Ich kann Sie lieben. Ich kann Kummer um Sie oder mit Ihnen haben. Ich kann Ihren Schmerz teilen. Aber ich kann nicht über Sie urteilen.«
»Ach.« Er drehte sich auf den Bauch und starrte in das Lager hinab. »Ich rede Ihnen gegenüber zuviel. Wenn mein Gehirn mich je von der Bindung an die Realität befreien würde, dann würde ich zum Typ des plappernden Irren gehören, glaube ich.«
»Sie reden doch nicht auf diese Weise zu jemandem anderen, oder?«, fragte sie beunruhigt.
»Guter Gott, nein. Sie sind … Sie sind … ich weiß nicht, was Sie sind. Aber ich brauche Sie. Wollen Sie mich heiraten?«
Sie seufzte, legte den Kopf auf die Knie und wickelte einen Grashalm um die Finger. »Ich liebe Sie. Sie wissen das, hoffe ich. Aber ich kann Barrayar nicht aushalten. Barrayar frisst seine eigenen Kinder.«
»Es besteht nicht nur aus dieser abscheulichen Politik. Einige Leute bleiben ihr ganzes Leben von ihr praktisch unberührt.«
»Ja, aber zu denen gehören Sie nicht.«
Er setzte sich auf. »Ich weiß nicht, ob ich ein Visum für Kolonie Beta bekommen könnte.«
»Nicht in diesem Jahr, vermute ich. Und auch nicht im nächsten. Dort sieht man zur Zeit alle Barrayaraner als Kriegsverbrecher an. In politischer Hinsicht hatten wir schon seit Jahren nicht mehr soviel Aufregung. Alle sind im Augenblick ein bisschen berauscht davon. Und dann ist da noch die Geschichte mit Komarr.«
»Ich verstehe. Ich hätte dann wohl Schwierigkeiten, einen Job als Judolehrer zu bekommen. Und ich könnte kaum meine Memoiren schreiben, wenn man alles in Betracht zieht.«
»Im Moment hätten Sie meiner Meinung nach Schwierigkeiten, einem Lynchmob zu entgehen.« Sie schaute in sein düsteres Gesicht. Das war ein Fehler, denn es drehte ihr das Herz im Leibe herum. »Ich muss – für einige Zeit sowieso nach Hause gehen. Meine Familie besuchen und mir alles in Ruhe und Frieden überlegen. Vielleicht können wir eine andere Lösung finden. Wir können uns auf jeden Fall schreiben.«
»Ja, vermutlich.« Er stand auf und half ihr hoch. »Wo werden Sie sein, wenn dies alles hier vorüber ist?«, fragte sie. »Sie haben ja Ihren Rang zurück.«
»Nun, ich werde diese ganze schmutzige Arbeit erledigen«, eine Bewegung seines Armes deutete auf das Gefangenenlager und implizit auf das ganze escobaranische Abenteuer, »… und dann werde ich auch nach Hause gehen, glaube ich. Und mich betrinken. Ich kann ihm nicht mehr dienen. Er hat mich mit dieser Sache erschöpft. Der Tod seines Sohnes und der fünftausend Männer, die ihn in die Hölle eskortierten, werden jetzt immer zwischen uns sein. Vorhalas, Gottyan …«
»Vergessen Sie nicht die Escobaraner. Und auch nicht ein paar Betaner.«
»Ich werde ihrer gedenken.« Er ging neben ihr den Pfad hinab. »Gibt es irgend etwas, das Sie brauchen, im Lager? Ich habe versucht dafür zu sorgen, dass im allgemeinen alles zur Verfügung gestellt wird, soweit unsere Vorräte das erlauben, aber ich kann etwas übersehen haben.«
»Das Lager scheint jetzt in Ordnung zu sein. Ich brauche nichts Besonderes. Alles, was wir wirklich brauchen, ist heimzugehen. Nein – jetzt, da es mir einfällt, bitte ich Sie doch noch um einen Gefallen.«
»Um welchen?«, fragte er eifrig.
»Leutnant Rosemonts Grab. Es ist nicht gekennzeichnet worden. Ich komme vielleicht nie mehr dorthin. Könnten Sie Ihre Leute veranlassen, das Grab zu kennzeichnen, solange man noch die Überreste unseres Lagers ausmachen kann? Ich weiß alle seine Daten. Ich habe schließlich seine persönlichen Formulare oft genug in den Händen gehabt, ich kann sie noch auswendig.«
»Ich werde mich persönlich darum kümmern.«
»Warten Sie.« Er blieb stehen, und sie streckte ihm eine Hand hin. Seine kräftigen Finger umfassten ihre schlanken; seine Haut war warm und trocken, und es kam ihr vor, als verbrenne sie sich daran. »Bevor wir den armen Leutnant Illyan wieder aufklauben …«
Er nahm sie in die Arme, und sie küssten sich zum ersten Mal.
»Oh«, murmelte sie. »Vielleicht war das ein Fehler. Es tut so weh, wenn du aufhörst.«
»Nun, lass mich …« Seine Hand streichelte sanft ihr Haar und verbarg sich dann verzweifelt in einer schimmernden Strähne; sie küssten sich noch einmal.
»Hm, Sir?« Leutnant Illyan kam auf dem Pfad heraus und räusperte sich laut und vernehmlich. »Haben Sie die Stabskonferenz vergessen?«
Vorkosigan ließ sie mit einem Seufzer
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