Scherben: Du tötest mich nicht (German Edition)
verlief kaum anders als der Tag davor. Vanessa schlief zwar weniger, doch zog sie sich in ihre eig ene Welt zurück und redete nicht viel. Jonas musste zugeben, dass sie verstört wirkte. War sie nun Opfer oder war sie Täter? Bei dieser Frage lief Jonas jedes Mal wieder ein kalter Schauer über den Rücken.
»Warum bringst du mich jetzt nicht zur Polizei?«, fragte sie am frühen Vormi ttag. Sie lag auf der Couch, und Jonas hatte ihr gerade einen Teller mit Nudeln und Tomatensauce auf den Tisch gestellt.
Schlagartig fühlte er sich in die Ecke gedrängt, und er ha tte die leise Ahnung, dass Vanessa genau das beabsichtigte. Noch ein Grund mehr, es sich nicht anmerken lassen durfte. Jeder noch so kleine Fehler könnte sein Letzter sein, in Anbetracht der Tatsache, dass er keine Ahnung hatte, was sie wusste. Und so setzte er sich zu ihren Füßen auf die Couch und tätschelte gespielt fürsorglich ihren Oberschenkel. »Willst du das?«
»Hältst du es denn nicht für nötig?«, fragte sie und hob i hren Kopf etwas, damit sie ihn ansehen konnte.
Mit fester Miene erwiderte er ihren Blick. »Ich weiß doch nicht, was passiert ist.«
»Ich war voller Blut. Reicht das nicht?«
Jonas spürte, wie ihm langsam die Argumente ausgingen. Natürlich wäre es eine selbstverständliche Reaktion, zur P olizei zu gehen, um irgendwie zu klären, was geschehen war. Aber wie sollte er Vanessa begreiflich machen, dass dies nicht möglich war, ohne sich selbst und seinen besten Freund zu belasten? »Wirst du denen erzählen, was passiert ist? Willst du es nur mir nicht verraten?«
Vanessa verdrehte genervt die Augen. »Ja, richtig, Jonas, du hast mich durchschaut. Ich verrate dir nicht, was gesch ehen ist, nur um dich zu kränken.«
Ihm wurde klar, was er tun musste, um seine Situation wieder unter Kontrolle zu bekommen: bluffen. Seine einzige Hof fnung war, dass auch sie bluffte. Denn wenn sie doch wusste, was in den vergangen Tagen mit ihr passiert war, und sie wirklich Thox etwas angetan hatte, konnte sie gar nicht zur Polizei gehen, ohne sich selbst zu belasten.
»Dann gehen wir jetzt eben zur Polizei.« Er stand auf und machte Anstalten, sich tatsächlich auf den Weg zu machen, als Vanessa sich aufsetzte, ihn am T-Shirt packte und zurück auf die Couch zog.
»Ich … Nein, lieber nicht.« Jonas setzte sich wieder. Er hatte also recht gehabt! Doch im selben Moment verspürte er wieder die gleiche Übelkeit vom Tag zuvor. Vanessa hatte also etwas zu verbergen. Was bedeutete das für Thox?
Weitere Versuche, Thox telefonisch zu erreichen, blieben erfolglos. Jonas sah schließlich nur noch die Möglichkeit, seinem Verschwinden – oder zumindest seiner Verweigerung einer Kontaktaufnahme – auf die Spur zu kommen, indem er ihn zu Hause aufsuchte. Doch das war leichter gesagt als getan.
»Ich muss kurz weg, Vanessa«, wollte Jonas sich am fr ühen Abend von ihr loseisen. Ihre permanente Kontrolle raubte ihm den letzten Nerv.
»Bitte geh nicht!«, flehte Vanessa weinerlich.
»Ich bin doch gleich wieder da«, vertröstete Jonas sie.
Vanessa, die noch immer – oder schon wieder? – auf der Couch lag, setzte sich nun auf. »Ich … mag nicht alleine sein.«
»Aber ich muss kurz …«
Vanessa griff nach seiner Hand, als er vor ihr stand und b efangen zu ihr herunter sah. »Bitte verlass mich nicht! Bitte geh nicht«, flehte sie, und Jonas wusste, dass er verloren hatte. Sie würde ihn nicht gehen lassen, ganz egal was er sagte.
»Na, schön.« Zumindest sollte sie denken, dass er ihr di esen Gefallen tat, doch insgeheim entschied er, dass er dann eben warten würde bis sie schlief, um sich auf den Weg zu machen.
Vanessa drückte dankbar seine Hand, und er spürte den I mpuls, sie ihr zu entziehen. Jede ihrer Berührungen widerte ihn an. Besitzergreifend sah sie zu ihm auf. »Ich wüsste nicht, was ich ohne dich täte, Jonas. Ich brauche dich … mehr als je zuvor. Wenn du nicht wärst … ich glaube, ich bin zu furchtbaren Dingen fähig.«
Und da war sie plötzlich wieder, die schreckliche Sorge, dass Vanessa nicht nur Thox etwas angetan hatte, sondern auch eine Gefahr für ihn und Maria darstellte …
Jonas passte einen Moment ab, als Vanessa im Badezimmer verschwand. Eilig und heimlich huschte er in sein Arbeit szimmer und wählte hektisch Marias Nummer. Diesmal ging sie nach dem ersten Klingeln ran.
»Ich bin‘s«, flüsterte er und warf einen nervösen Blick zu der offenen Zimme rtür. Er befürchtete, das
Weitere Kostenlose Bücher