Scherben: Du tötest mich nicht (German Edition)
angrinste. »Vanille und Schokolade mag ich auch am liebsten.« Eine glatte Lüge, zumindest was Schokolade betraf, doch das musste sie ja nicht wissen.
»Wirklich? Ich lasse dich aber nicht lecken!«, sagte Stine mit einem ernsten U nterton, als würde sie damit noch viel mehr sagen wollen. Sie wirkte plötzlich sehr erwachsen und erfahren, und das gefiel Nicky an ihr. Dennoch brachten ihre Worte ihn völlig aus dem Konzept und er zog irritiert seine Brauen zusammen. Unruhig puhlte er an einem Stück toter Haut an seinem Fingernagel.
»Ich … das wollte ich auch gar nicht«, stotterte er nervös. Wieder sah sie ihn an, betrachtete ihn einen Augenblick kr itisch und nickte schließlich. Als hätte er unwissentlich irgendeinen Test bestanden.
»Gut. Denn das wäre total widerlich.« Jetzt wirkte sie wieder wie das 15-jährige Mädchen, das sie war und das versuchte, ihn ein wenig zu necken. Doch ihre hellblauen Augen blieben unergründlich und ablehnend.
Nicky nickte. »Ja, stimmt.« Plötzlich wurde es still und er wusste, dass er etwas Geistreiches sagen sollte, damit sie nicht das Interesse verlor. Aber worüber konnte man mit einem Mädchen reden? Er und Conny hatten immer etwas, worüber sie reden konnten. Doch das Quälen von Tieren war vermutlich nicht das richtige Thema für ein Mädchen wie Stine. Immerhin wollte er sie kennenlernen und nicht erschrecken. Ohne sie wirklich zu kennen, spürte Nicky plötzlich ganz tief drin, dass sie und er bestimmt nicht viel gemeinsam hatten. Sie war eine Nummer zu groß für ihn. Er kam nur aus einem verkorksten Elternhaus. Eigentlich war er nicht einmal ein netter Mensch. Sie war zu gut für ihn. Nicky machte sich etwas vor. Trotzdem wollte er das nicht akzeptieren. Doch während er noch nach einem passenden Thema suchte, stand sie plötzlich auf und drehte sich zu ihm um.
»Ich muss jetzt nach Hause …«, begann sie, und Nicky hatte den Eindruck, als würde sie es bedauern. Und er wollte auch nicht, dass sie ging. Ihr Gespräch war viel zu kurz g ewesen. Als Stine sich umdrehte, sprang auch er von der Bank auf. Er hatte den Impuls, sie am Arm festzuhalten, doch er tat es nicht.
»Warte! Du bist Stine, hab ich recht?«, versuchte er, die U nterhaltung wieder aufzunehmen.
Sie blieb zögerlich stehen. »Ja, aber …«
»Ich bin Nicky.«
Jetzt drehte sie sich zu ihm um. »Das weiß ich.«
Nicky erkannte, dass sie etwas von ihm erwartete. Sie hoffte auf einen Grund, noch zu bleiben, und wenn er ihr den nicht gab, würde sie gehen. Als er bemerkte, dass Stine langsam ungeduldig wurde, musste er kapitulieren.
»Du musst jetzt gehen, oder?«, fragte er deshalb en ttäuscht.
»Ja.«
Nicky startete einen letzten verzweifelten Versuch. »Wollen wir … willst du dich mal mit mir treffen?«
Stine legte ihren Kopf zur Seite und blickte ihn misstra uisch an. »Warum?«
Plötzlich kamen ihm tausende Antworten in den Sinn, doch bei dem Misstrauen in ihren Augen wollte er sie nicht damit verschrecken. Stattdessen zuckte er gespielt lässig mit den Schultern und sagte: »Vielleicht, weil wir die selben Eisso rten mögen?«
Stine lächelte, zum ersten Mal.
»Okay. Mach‘s gut«, sagte sie fröhlich und ging davon.
Nicky blickte ihr noch eine Weile nach, bis er selbst den Weg nach Hause for tsetzte. Vielleicht hatte er sich getäuscht und war doch kein so schlechter Mensch. Immerhin hatte er Stine zum Lächeln gebracht. Fragte sich nur, was Conny dazu sagen würde …
Kapitel 4
Heute
Mittwoch, 09. Juli
D as monotone Rattern des Kopierers klang für Vanessa wie Musik. Alles schien zu Musik zu werden, wenn Jonas in ihrer Nähe war.
»Ich könnte dir stundenlang dabei zusehen«, scherzte dieser gut gelaunt. Er saß auf dem Ablagetisch im Druckerraum und beobachtete Vanessa, wie sie Seite um Seite in das Gerät le gte, um dann die vielfachen Duplikate wieder aus der Maschine zu fischen und in verschiedenfarbige Ordner zu sortieren. Seine Aufmerksamkeit verlieh ihrer stupiden Arbeit jedoch ein aufregendes Kribbeln.
»Du bist verrückt! Hast du denn nichts zu tun?« Sie versuc hte, streng zu klingen, doch das lästige Lächeln, das sie bereits seit einigen Tagen kaum ablegen konnte, trug nichts zu der gewünschten Glaubhaftigkeit bei.
»Ach, das kann warten. Ich sehe dir lieber zu.«
Vanessa stellte sich vor, wie aufregend es sein musste, in diesem staubigen Druckerraum Sex mit ihm zu haben. Die Angst, erwischt zu werden – obgleich sich außer ihr fast
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