Scherben: Du tötest mich nicht (German Edition)
athletisch und beliebt. Viele Mädchen schwärmten für den großen, dunke lhaarigen Sportler, und Leon selbst nutzte das aus. Alle zwei Wochen hatte er eine neue Freundin, und Nicky gefiel der Gedanke nicht, dass ausgerechnet Stine eine davon sein sollte. Er und Conny hassten Leon leidenschaftlich und nutzten jede Gelegenheit, ihn hinter seinem Rücken obszön zu beleidigen. Mehr trauten sie sich jedoch nicht, schließlich wollten sie nicht von ihm verprügelt werden. Und dieser Leon Troplowitz sollte nun der Freund von Stine sein?
Nicky sah wieder zu ihr hinüber. Immer noch schüttelte sie ihren Kopf, diesmal nur heftiger, obwohl sie gar nicht wissen konnte, dass er sie ansah. In diesem M oment fühlte er sich von ihr seltsam gekränkt.
Vielleicht hatte Conny recht, dachte Nicky plötzlich. Vie lleicht hätte Stine gar nichts dagegen, wenn er sie anfasste. Wenn Leon das durfte – und er war sich sicher, dass er es durfte – warum dann nicht auch er? Immerhin hatte sie ihm das Gefühl gegeben, sie würde ihn mögen.
Außerdem wusste Nicky, dass Conny nicht aufgeben wü rde, bis er endlich getan hatte, was er von ihm erwartete. Und so war es in seiner – Nickys – Verantwortung, was mit Stine passierte. Nur er konnte dafür sorgen, dass es nicht zu schlimm für sie wurde und dieser Abend für alle Beteiligten einigermaßen glimpflich ausging. Sicher würde Conny ihn und Stine dann endlich in Ruhe lassen.
»Okay, ich mach‘s«, sagte er schließlich und klang dabei entschlossener, als er sich fühlte. Stine begann wieder zu wimmern, noch lauter als zuvor. Nicky wurde abermals uns icher. Wie sollte er ihr klar machen, dass er ihr nichts tun würde? Wenn er Conny die Kontrolle überließ, dann würde dieser Abend sicher ein schreckliches Ende nehmen. Er wollte nur dafür sorgen, dass nichts Schlimmes mit ihr geschah. Wenn sie ihm bloß vertrauen würde!
»Hab ich doch gewusst, dass du mich nicht hängen lässt, A lter!« Aufbauend klopfte Conny ihm auf die Schulter, während sich beide träge vom Boden erhoben. Nickys Beine fühlten sich inzwischen etwas stabiler an, auch wenn sie noch nicht ihre alte Form wiedergefunden hatten. Er spürte, wie Unentschlossenheit seinen Verstand übernahm. Doch ihm blieb keine Zeit, sich weitere Gedanken zu machen. Conny war bereits zu Stine hinübergegangen und blickte nachdenklich auf das an dem Baum sitzende Mädchen herab. »So geht das nicht«, sagte er, griff nach ihren Knöcheln und zerrte sie von dem Baum weg, bis sie vor ihnen auf dem Waldboden lag. Ihr Faltenrock war dabei hochgerutscht und entblößte eine weiße, nicht besonders knappe oder hübsche Unterhose. Doch Stine wollte nicht liegen. Jetzt wurde Nicky klar, was Conny damit gemeint hatte, Stine hätte sich gewehrt wie eine Wildgans. Auch jetzt zappelte und wand sie sich, nur um nicht vor den zwei Jungs zu liegen. Aus ihrer Kehle drangen Laute, die wie unterdrückte Schreie klangen. Nicky verspürte erneut den Impuls, Stine zu helfen, sie einfach zu befreien, Conny wegzustoßen und sie weglaufen zu lassen, doch ohne zu begreifen, warum das so war, tat er es nicht.
Conny hatte bereits reagiert und nach Stines Oberkörper g egriffen, um sie ruhig zu stellen. Jetzt hockte er mit den Knien auf ihren Schultern und versuchte, sie unter Kontrolle zu halten. Nicky hätte es kaum für möglich gehalten, doch Stine wirkte plötzlich erneut, als hätte sie aufgegeben. Sie wehrte sich nun nicht mehr, und auch ihr kehliges Kreischen war einem leisen Schluchzen gewichen.
Langsam ging Nicky auf sie zu und wünschte sich, niemals anzukommen. Doch Menschen wie er, die im Begriff waren, Dinge zu tun wie er es beabsichtigte, bekamen keine Wü nsche erfüllt.
Als er sie erreichte, kniete er sich vor ihr hin. Jetzt bekam er doch noch ihre Beine zu sehen, und diesmal konnte er sie s ogar anfassen, wenn er das wollte. Aber wollte er das? Sein Blick fiel auf einen handtellergroßen Bluterguss, der die Innenseite ihres rechten Oberschenkels zierte. Entsetzt sah er zu Conny auf.
»Sieh mich nicht so an, das war ich nicht«, erklärte dieser nüchtern, beinahe amüsiert.
Nicky blickte Stine direkt ins Gesicht und bereute es sofort. Zwar machte das Klebeband es fast unmöglich, eine emotionale Regung in ihren Zügen zu erkennen, doch die Stellen, die nicht beklebt waren – Stirn, Teile der Wange und Kinn – waren gerötet und zitterten wie bei einem unterdrücktem Weinkrampf. Aus ihrer Nase lief durchsichtige Rotze, doch Nicky
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